Von Strandräubern und Piraten

10_1_Pirat Früher fuhren die Piraten zur See und die Strandräuber kümmerten sich um gestrandete Schiffe und angespülte Ladung. Ihre heutigen Nachfahren vermieten Ferienhäuser…

Am anderen Ende von Flutsaum und Strand, in den Dörfern und Städten, die das Glück haben, sich „oceanfront“ auf Fahne und Werbung drucken zu können, wird in ganz anderen Dimensionen nach Gold gesucht als noch zu Störtebeckers Zeiten – und zumeist auch gefunden. Direkt. In bar oder per Kreditkarte und am liebsten im vielstelligen Dollarbereich. Diese zehn magischen Buchstaben (oceanfront) machen aus einer heruntergekommenen Absteige mit extremem Renovierungsbedarf im Handumdrehen ein „Scenic Beach and Ocean View Home“ zu astronomischem Mietzins.

Und dabei ist die reißerisch-unrealistische Werbung für abgewohnte Bausünden ebenso schwindelerregend wie der dazu meist in keinem Verhältnis stehende Zustand der vermieteten Objekte oder gar die absurden Mietkonditionen. Hier – wie allerdings überall auf der Welt, von Amrum bis Miami Beach, von Rügen bis Honolulu – berechnet sich der Preis einer Ferienwohnstatt erschreckend oft nicht nach tatsächlicher Angemessenheit, sondern danach, was der gemeine Touri bereit ist zu zahlen. Und offenbar gibt es noch immer genügend Menschen, denen „oceanfront“ wichtiger ist als Sauberkeit oder ein gesundes Preis/Leistungsverhältnis. Und ich rede nicht von shabby chic oder beach cottage style – ich rede von ramshackle und worn out. „Bruchbude“ – das übersetzt sich umgangsenglisch so schön mit „it’s a hole in the wall“ – und genau das ist’s dann auch.

Da verdienen Menschen zehneinhalb Monate im Jahr sauer ihr Urlaubsgeld, nur um es dann in einem Rutsch für einen Zwei-Wochen-Beach-Urlaub einem dieser neuzeitlichen Raubritter in den Rachen zu stopfen. Aber zeigt das nicht auch ein wenig die Wertschätzung, die wir uns selbst (nicht bloß unserem Geld) gegenüber haben. Wieviel Rückgrat braucht ein Urlauber?

Die Chuzpe mancher Vermieter around the Globe ist allerdings wirklich unbeschreiblich! Und die Abzocke funktioniert, weil Menschen weltweit für ein paar Wochen im Jahr das Meer sehen möchten… (selbst wenn man es ggf. aus der zweiten Reihe überhaupt nur sehen kann, wenn man sich auf den Klodeckel stellt und durchs darüber liegende Veluxfenster linst). Meerblick macht sich im Prospekt immer gut. Von wo… na ja, das findet man dann ja raus, nachdem man bezahlt hat. Vorkasse ist verbreitet selbstverständlich, dann bucht sich’s auch nicht so leicht um…!

In diesem Jahr bewohnen wir ein anderes Quartier als sonst – und uns hat’s diesmal auch so richtig erwischt: Das Haus stammt schätzungsweise aus den Endsechzigern und hat seitdem absolut jeden Renovierungsversuch verschlafen (sollte es denn solch ein Ansinnen beim Vermieter überhaupt jemals gegeben haben). Dornröschen ist alt, baufällig und heruntergekommen – und kostet dennoch ein mittleres Vermögen. Drei Wohnungen (unten zwei, oben eine) mit – zugegeben – herrlichstem Meerblick verwöhnen den ebenso zahlungswilligen wie leidensfähigen Urlauber mit altmodisch-klapprigen Gerätschaften, windschiefen Türen und verbogenen Dielen, deren Lebensdauer sich sichtbar dem Ende zuneigt.

10_2_Rusty_VentilatorVerrostete Deckenventilatoren, die mit Unwucht und bedrohlich schleifendem Sound den Staub in der Gegend verteilen, verschieben ihr „großes Finale“ des geräuschvollen Absturzes allerdings hoffentlich noch bis nach unserer Abreise. – Wir haben den rostigsten von ihnen liebevoll „Rusty“ getauft und reden ihm täglich gut zu, noch eine Weile durchzuhalten.

Die Klimaanlage – ein Muss für jedes Haus im Sunshine State – röhrt und rattert finalgeschädigt durch die warmen Stunden des Tages. Aber solange ihr Riesenaggregat läuft, hört man wenigstens den altersschwachen Kühlschrank mit dem asthmatisch seufzenden ice maker nicht mehr… alles gut also. Wir sind ja flexibel.

Gestern war ein Regentag – sozusagen unser Glückstag der Woche: schließlich konnten wir dank der kühleren Temperaturen auf den Sound der Klimaanlage verzichten. Dafür tropfte dann allerdings der Regen durch den Kamin (nun verstehe ich auch, warum dort bereits eine Alu-Grillschale stand…), und die Holzdecke, die bereits deutliche Spuren vergangener Wasserschäden zeigt, lässt auch nichts Gutes erwarten.

10_3_es ist rosaAn so einem Tag schaut man sich dann drinnen mal ein wenig um. Unser „Drinnen“ hat rosa … ja, ich weiß nicht, wie ich’s beschreiben soll: seltsame rosa Rüschenbänder über allen Fenstern (siehe Photo) und übt sich auch sonst im ultimativen Kitsch – Kitsch as Kitsch can… sozusagen.

Das Mobiliar stammt vermutlich noch von Großtante Winnifred und Onkel Wilbour (Gott hab sie seit langem selig) und würde auf keinem Trödel dieser Welt mehr einen Anhänger finden. Es ist nicht „vintage“, sondern einfach alt und hässlich, zumeist kackebraun und angestoßen. „Used look“, wenn man es denn originell ausdrücken möchte.

Aber – ja – wir sind gesegnet mit Meerblick direkt von der Terrasse, können uns die Kraxelei auf dem Klodeckel also sparen. Dafür sind von den neun(?!) völlig wahl- und sinnlos herumstehenden Outdoor-Sitzgelegenheiten wegen akuter Baufälligkeit und Rostbefalls auch nur noch dreieinhalb benutzbar. Gehobene Ausstattung also. Gehobener Preis. Bitte beehren Sie uns wieder.

Na danke! Für’s nächste Mal suchen wir uns jedenfalls etwas Neues – und diesmal versuchen wir’s analog statt digital: kein Internet-Werbegeschwurbel, das uns einlullt, sondern altmodisches vorher-selber-Angucken.

Das wird bestimmt lustig…!

 

Aber ich weiß schon: es gibt sie, die schönen, die liebevoll eingerichteten und gut gepflegten Domizile, bei denen der Vermieter tatsächlich von dem ausgeht, was er selbst gern andernorts vorfinden würde, statt möglichst viel Ertrag pro Quadratzentimeter rauszuziehen. Sie sind die Strandperlen im Haifischbecken, die Suche dauert oft nur etwas länger. Und wenn wir es jetzt noch schaffen, das sich die Touris auch noch gut zu benehmen und pfleglich mit den Ferienwohnungen umzugehen wissen, dann wird das noch was mit dem „you get what you pay for“.

 

Und draußen am Strand ist’s unschlagbar atemberaubend. Die Natur kennt ja zum Glück keine Abzocke – da gibt’s keine Fototapete oder andere fakes – da ist alles echt und jeden Penny wert. Hoffen wir also weiter auf gutes Wetter…!

 

© kb 2013.