Change for America oder: warum Regieren nicht immer Spaß macht
Das “Wunder 08″ ist im Alltag angekommen – Amerika hat seinen ersten afro-amerikanischen Präsidenten, der in 56 Tagen ins Weiße Haus einziehen und die Amtsgeschäfte übernehmen wird.
Und wie immer, wenn ein Wunder geschieht, wollen viele seine Väter sein. Nachdem der ehemalige Rivale, Senator McCain, noch in der Wahlnacht seine hundertprozentige Unterstützung für den vom Volk gewählten neuen Präsidenten erklärt hat, ist dies die offizielle Reaktion aller ehemaligen Gegner, gleich welchen Lagers. Das ist edel, das ist weltmännisch und das ist vernünftig. Denn nur so verschaffen sie sich die Möglichkeit, weiter an dem “Wunder” mitzuwirken, den Change mitzuerschaffen und die Schwungräder des Landes wieder in Gang zu bringen. Ansonsten wären sie alle – ohnehin in der Minderzahl, wie das deutliche Wahlergebnis gezeigt hat – gänzlich weg vom politischen Fenster. Und wer will das schon?
Aber es ist schon streckenweise erstaunlich, wie viele im Leben von uns Normalsterblichen völlig selbstverständliche Dinge für Politiker und Wirtschaftsbosse gleichermaßen Neuland sind. So fragten die drei großen, bis zum Hals in der Krise steckenden Autohersteller General Motors, Ford und Chrysler kürzlich bei der Regierung um große Summen Rettungsgelder nach. Dumm nur, dass die Herren Vorstandsvorsitzenden zum Betteltermin in ihren Privatjets angeflogen kamen, noch dazu jeder für sich im eigenen Jet. Auf Firmenkosten – immense Firmenkosten. Und das, wo durch ihr Zutun insgesamt ca. 1,8 Millionen Jobs auf dem Spiel stehen. Glücklicherweise wurde ihnen dann in der öffentlichen Sitzung ordentlich der Marsch geblasen.
Wozu das geführt hat? Zumindest nicht zu Worten des Bedauerns. Oder gar Verstehens. Einer Geste. Einem Zucken. Einer dezent-schamvollen Röte. Nein. Das profunde Ergebnis dieses Termins war, dass der Senat ihnen das Geld nicht “einfach so” gibt, sondern sie zuvor einen dedizierten Businessplan vorlegen müssen, wofür sie denn die schönen Steuergelder zu verwenden gedenken. Den hatten sie nämlich gar nicht dabei. Großartig.
Ich persönlich dachte ja immer, das sei völlig normal. Die Damen und Herren Senatoren verkaufen ihre Entscheidung aber hier als eine ganz große Tat, klopfen sich auf die Schultern und fühlen sich ausgesprochen wagemutig. Bei uns “hier unten” fragt jede Bank nach einem stimmigen Konzept für den nächsten Firmen- oder Privatkredit, und ich kenne keine Ausnahmen. Und ganz nebenbei sei hier mal erwähnt, dass es beim Freikauf der Firmenschulden der “Big 3″ aus dem Steuersäckel um weit größere Beträge geht als bei uns. Irgendwie doch beruhigend, dass die nicht einfach auf Nimmerwiedersehen in ein schwarzes Loch gepustet werden sollen…
Das Zentrum des derzeit arg fiebrigen Politgeschehens ist naturgemäß Washington. Mehr oder minder am Rande der Szene beziehen demnächst die neuen Kongressmitglieder ihre Büros, während die “Ausgedienten” sich langsam zurückziehen. Bald geht’s in die Winterpause für’s Regieren. Der alte Präsident bewegt nichts mehr, und der neue darf noch nicht richtig loslegen. “lame duck” (lahme Ente) nennt man hier diese Phase… ein wahrhaft treffender Ausdruck.
Doch neben den medienbekannten Gesichtern gibt es eine Menge Regierungsangestellte, die es nun nach Washington und in eine neue Phase ihres (politischen) Lebens verschlägt. Und nicht für jeden dieser politischen Aufsteiger bedeutet dies auch einen persönlichen Aufstieg. So sind die Mieten in Washington inzwischen so unermesslich hoch, dass kaum einer dieser Volksvertreter sich eigene vier Wände leisten könnte. Es bilden sich Wohngemeinschaften, man haust in Micro-Apartments (Bad und WC auf dem Flur), oder man ist clever, fährt zum Home Depot und kauft sich ein Klappbett, das man dann nächtens, des Regierens müde, im Büro aufstellt und sich zwischen seine Aktenberge kuschelt. Ein Newcomer im Repräsentantenhaus macht das gerade vor.
Nun, Büroschlaf soll ja auch der gesündeste sein.
Selbst ein Mr. Obama hat zu seiner Zeit als Senator derlei Erfahrungen machen dürfen, und es hat ihm offensichtlich nicht geschadet. Aber es beweist einmal mehr, dass Regieren – ob als Präsident im Rampenlicht oder als unbekannter Aktenschubser im Büro-Halbdunkel – nicht immer Spaß macht.
Ganz sicher aber nicht vor dem Hintergrund der anstehenden Aufgaben für das neue Kabinett und seine Mitarbeiter. Obamaland kämpft derzeit zwei Kriege und dazu an vielen innen- und außenpolitischen Fronten. Erste Aufgabe in diesen verbleibenden 56 Tagen bis zur Amtsübernahme ist es nun, ein Team von Fachleuten zusammenzustellen, das all diese so unterschiedlichen Aufgaben mit Weitsicht und Kompetenz bewältigen kann. Ein Team intelligenter Köpfe, die sich auch als Team verstehen. Keine Schnellstarter, keine Hitzköpfe, keine Einzelgänger. United we stand gilt auch hier.
Wichtigste Einstellungsvoraussetzung für diese Damen und Herren ist dabei, dass sie aufgrund ihrer politischen und/oder wirtschaftlichen Erfahrung unmittelbar in ihre Aufgaben einsteigen und loslegen können – lame duck hin oder her. Amerika hat keine Zeit zu verlieren.
Das Wirtschaftsteam steht seit Montag fest. Heute, am Mittwoch, stellte Mr. Obama nun eine in Amerika grundsätzlich neue Institution vor: das Economic Recovery Advisory Board, quasi ein Berater-A-Team von Nichtpolitikern, das aus allen nur möglichen Perspektiven die Arbeit des Präsidenten und seines Wirtschaftsteams nicht nur kritisch unter die Lupe nehmen, sondern auch aktiv korrigierend eingreifen soll. Und hier holt er sich all diejenigen mit ins Boot, die nicht zwangsläufig seiner Meinung sind, nicht seiner oder gar keiner Partei angehören und grundsätzlich durch ihren Blick von außen auf die Politik neue, frische Ideen einbringen können.
Und schon werden die Reporter wieder ungeduldig. Als hätten drei Pressekonferenzen in drei Tagen nicht genug Stoff für ihre Nachrichtendauersendungen geliefert, wollen sie jetzt schon Details zu den nächsten politischen Entscheidungen hören, verbreiten, zerreden…
Mit der Mannschaftsaufstellung ist auch noch nie ein Tor gefallen. Und – um kurz im fußballerischen Bild zu bleiben – man sollte doch erstmal den Anpfiff des Spiels – will sagen die Amtseinführung des Präsidenten – abwarten, bevor man den Tabellenplatz diskutiert.
Weitere Namen des Obamakabinetts stehen noch nicht endgültig fest, aber es wird schon im Vorwege heftig kritisiert, dass einige Gesichter aus der früheren Clinton-Administration im Gespräch sind. Schon werden bereitwillig Zweifel am Change geschürt. Aber ist es wirklich erheblich, wer wann wo schon mal der Sache gedient hat? Sollte nicht tatkräftige Kompetenz wichtiger sein als Parteibuch, Schlagzeilen und Clinton-Hype?
Amüsiert hat mich ein Kommentar eines CNN-Reporters, der sich beschwerte, wie viel Hin und Her es doch wegen einer möglichen Nominierung von Hillary Clinton als Außenministerin gäbe: erst ja, dann nein, dann vielleicht, dann eventuell… Man wüsste gar nicht mehr, woran man sei. Der Ärmste hat wohl vor laufender Kamera spontan vergessen, dass maßgeblich er es war, der sich über dieses Thema in den vergangenen zwei Wochen fast schwindelig spekuliert hatte – unter Berufung auf seine ureigenen “zuverlässigen” Quellen.
Vielleicht sollte man auch als Reporter mal lernen den Mund zu halten und abzuwarten, bis die Leute, die die Entscheidungen treffen, diese auch getroffen haben. Dann hat man hinterher immer noch Zeit und Möglichkeit genug, sich beim Zerreden in den Vordergrund zu spielen…
Bislang zeigt sich President-elect Obama erfreulich selbstbewusst und unbeeinflusst vom immensen (Medien-)Druck, der auf ihm lastet. “In all deliberate haste” (in aller wohlbedachten Eile) trifft er seine Entscheidungen – will sagen: ich beeile mich, nehme mir aber die Zeit, die ich brauche und für richtig halte.
Gut so.
Die Medien haben hierzulande einen so übergroßen Einfluss auf Bevölkerung und Meinungsbildung, da ist es doch beruhigend zu sehen, dass ihr Einfluss vor dem neugewählten Präsidenten Halt macht.
kb.