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Buch

16 Kurzgeschichten

152 Seiten – Hardcover
Verlag: BoD Norderstedt

ISBN 978-3-7528-6840-1

Preis: 16,75€


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Hinterhofträume - erschienen August 2018

Hinterhofträume

liest sich wie ein Stadtspaziergang:

In sechzehn Kurzgeschichten begegnen wir Menschen, deren Leben eher fernab der schicken Vorderhäuser stattfindet. Wir erfahren von ihrem Leben in der Stadt, ihren Träumen, Sorgen und Stärken, verpassten Chancen und den Bildern in ihren Köpfen.

Wieder sind es intensive Begegnungen und Gedanken, die auch außerhalb der Buchdeckel nachwirken. Sie lassen uns schmunzeln, aber sie fordern uns auch zum Perspektivenwechsel auf. Für kurze Zeit gehen wir in den Schuhen eines anderen, entdecken Neues und sehen dabei so manches mit anderen Augen.




Kurzgeschichte
Komm mit mir nach Khayelitsha!

 

Südafrika ist das Land, in dem ich geboren bin.

Man nennt es die “Regenbogennation”, weil hier alle Hautfarben dieser Welt leben. Es ist ein wunderschönes und farbenprächtiges Land, voller Kultur und Lebendigkeit, ein Land, dessen Natur und Wildnis viele Menschen aus aller Welt anlockt. Früher kamen Holländer, Deutsche, Briten und Franzosen und rissen das Land an sich. Sie herrschten, sie unterdrückten, sie erfanden die Apartheid, und nahmen uns unsere Rechte. Wir durften nicht dieselben Schulen besuchen, nicht in denselben Läden einkaufen, nicht auf denselben Parkbänken sitzen. Nein, wir durften ja nicht einmal in die “weißen Parks” hinein. Doch das Schlimmste war, dass wir uns nicht frei in unserem eigenen Land bewegen durften. Mein Vater saß einmal 90 Tage im Gefängnis, nur weil er außerhalb seiner Heimatprovinz angetroffen wurde. Und dabei suchte er doch nur nach Arbeit, um uns irgendwie durchzubringen. Du bleibst, wo Du geboren bist. Dein Leben lang…

Und so ist heute der einfache Satz “Komm mit mir nach Khayelitsha!” ein kleines Wunder.

Khayelitsha ist ein Vorort von Kapstadt. Es ist eine riesige Township, die drittgrößte des Landes. Fast eine halbe Million Menschen lebt hier in Blech- und Holzbaracken vor den Toren einer der schönsten Städte Afrikas. Doch hier ist von dieser Schönheit nichts zu sehen. Hier sieht man das Ende der Apartheid nicht – unser Ghetto besteht noch immer, auch zwanzig Jahre danach. Die Kinder spielen zwischen windschiefen Bretterzäunen und Müll, jeder Regenguss droht, unsere Hütte auf dem lehmigen Boden davonzuschwemmen. Unsere kilometerlangen Wege legen wir zu Fuß auf den Autobahnen zurück. Schon die Kleinsten lernen das. Es ist unser Alltag, und die schönen, schnittigen Sportwagen, die an uns vorbeirasen, sind wie Phantome, denen wir nur manchmal in unseren Träumen nachjagen.

Und doch ist das Wunder geschehen: Wir haben eine Verfassung, die uns alle gleich macht. Schwarze, Coloured, Asiaten und Weiße. Auf dem Papier… Wir dürfen wählen, viele von uns haben jetzt Strom und Wasser, es gibt Schulen für unsere Kinder und Geschwister – es ist viel geschehen, aber unser Weg ist noch weit. So weit, dass ich mich manchmal frage, ob ich wohl lange genug leben werde, um ein wirklich freies, gleiches Südafrika zu erleben… Aber meine Kinder vielleicht. Ich träume nicht von einem Sportwagen, ich träume, dass meine Kinder es erleben.

Ich bin erst dreiundzwanzig, habe drei Kinder geboren und arbeite als Putzfrau für einen unfreundlichen Weißen, der einige Ferienhäuser verwaltet. Herr Schneider ist ein alter Bure – zumindest im Kopf. Eigentlich ist der Deutscher, vor fast vierzig Jahren hierher gekommen, und noch immer trauert er der Apartheid hinterher. “Da war noch klar, wer oben und wer unten ist”, sagt er. “Da wusstet Ihr Schwarzen noch, wo Ihr hingehört!” Er ist ein schrecklicher Mann, und es ist ein Segen, dass ich nicht vor dreißig Jahren für ihn arbeiten musste, als sich noch niemand um unsere Rechte oder unser Leben geschert hat.

Es gibt viele Schneiders in Südafrka. Heute auch mit schwarzer Hautfarbe – das ist skurril. Denn diejenigen von uns, die es inzwischen zu Macht oder Geld gebracht haben, haben dabei ihre Wurzeln verloren. Jetzt sind sie es, die unterdrücken, so als wollten sie heimzahlen, was sie erlebt haben.

Wann hört das endlich auf? Warum brauchen Menschen immer ein Oben und ein Unten – selbst (oder gerade) diejenigen, die das Unten aus eigener Erfahrung kennen. Unsere Welt ist so reich – und doch so arm, wenn es darum geht, miteinanderzu leben.

Khayelitsha heißt übersetzt neue Heimat.

Für uns bedeutet diese neue Heimat Freiheit. Die Freiheit, zu wählen, wo man lebt. Khayelitsha ist ein Symbol, ein Aufruf, an diese Freiheit zu glauben. Drüben, an der Autobahn steht ein brauner Wegweiser, auf dem dieses Wort geschrieben steht. Wir halten uns an dem Wegweiser zu dieser neuen Heimat und Freiheit fest, so wie wir uns an unseren Träumen festhalten. Jeden Tag.

Sie sind noch immer alles, was wir haben.
Wenn wir sie nicht festhalten, verlieren wir alles, wofür so viele gekämpft und gelitten haben. Wenn wir sie nicht festhalten, werden wirverloren sein.

Komm mit mir nach Khayelitsha und lass uns aus unseren Träumen etwas bauen! Ein Land, dessen Verfassung Wirklichkeit wird. Ein Land, das in allen seinen elf Amtssprachen dasselbe sagt: Freiheit. Gleichheit. Gerechtigkeit. Ein Land, das den Regenbogen nicht nur in seiner Flagge, sondern auch in seinem Alltag trägt.

Denn ich weiß: Träume können wahr werden. Schließlich bin ich hier,  oder nicht?

(c) Karin Buchholz 2014

 

Khayelitsha