Community. Church. Politics. Die amerikanische Alltags-Dreifaltigkeit

Die wohl stärkste Kraft im amerikanischen Alltag ist die der Community. Sie ist nach der Familie der kleinste gemeinsame Nenner des amerikanischen Lebens und aus ihr heraus definiert sich prinzipiell das Alltagsgeschehen. Die (Dorf-)Gemeinschaft prägt, trägt, sieht alles und – schläft nie!
Individualisten haben es schwer, in solchen Zwangsgemeinschaften inmitten ihrer Nachbarn und Freunde sowie deren Nachbarn und deren Freunden (usw.) ein Leben nach ihren Vorstellungen zu führen. Da wird der tägliche Ausflug in den Beruf zum wahren Fluchtpunkt und bisweilen zur einzigen Privatsphäre, die man hat. Jeder von uns kennt die unglaubliche Geschwindigkeit, mit der sich Neuigkeiten im Bekanntenkreis verbreiten – bevorzugt selbstverständlich schlechte Nachrichten. Blood sells – Nachrichten, in denen Blut fließt, es um Krankheiten, Unfälle oder gar Straftaten geht, haben gemeinhin eine doppelt so hohe Taktrate wie die weitaus langweiligeren Informationen über Geburten, Hochzeiten oder runde Geburtstage. Und eben weil das so ist, clustern sich die Amerikaner an ihren Wohnorten stets zu hübschen kleinen Siedlungen zusammen, in denen die Informationswege schön kurz und der Nachrichtendurchsatz schön hoch ist.

Bei der Informationsverbreitung spielt es im übrigen keinerlei Rolle, ob man die Protagonisten einer Nachricht, will sagen den- oder diejenige, um die sich die Geschichte dreht, überhaupt kennt. So wurden uns innerhalb weniger Tage hier vor Ort Krebsdiagnosen, Unfälle mit Kindern, Krankenhausuntersuchungen und deren Ergebnisse, Notarzteinsätze und Einbruchdiebstähle aus dem Leben von rund 15 uns völlig unbekannten Personen zugetragen… willkommen auf der staufreien Informationsautobahn der Community!
Und willkommen fühlt sich man sich hier auch in der Tat sofort, mit offenen Armen aufgenommen, weil ein jeder all seine Informationen vom Start weg mit dem Neuankömmling teilt. Die Gastgeber sind dann immer ein wenig irritiert, wenn man seine eigenen Informationen im Gegenzug eher etwas zurückhaltend und weniger im Pfefferstreuer-Prinzip zum Besten gibt.

Dieser zumeist als Hilfsbereitschaft getarnte Rund-um-die-Uhr-Gemeinschaftssinn ist ja bisweilen auch ganz großartig – die Gemeinschaft verteilt die Unbillen des Lebens auf mehrere Schultern. Zumindest mal in der Theorie und an der Oberfläche. Natürlich kann niemand einem am Krebs erkrankten Nachbarn die Krankheit oder die Ängste abnehmen. Der Communitygeist hilft aber, dass Dinge hier nicht tabuisiert werden, dass Kranke nicht aus der Gemeinschaft ausgegrenzt, sondern im Gegenteil zum Mittelpunkt der Gemeinschaft gemacht werden. Das ist prinzipiell gut und deutlich besser als unser deutsches Totschweigen und Kollektiv-Beschämtsein, wenn es darum geht, Menschen mit einer schweren Krankheit zu begegnen.
Bisweilen gerät dann aber diese gut gemeinte Basissolidarität (wie so vieles andere auch) deutlich aus dem Ruder, dann nämlich, wenn der Kümmer-Eifer der lieben Nachbarn und Freunde zum Superklebstoff mutiert, der dem Betroffenen überhaupt keine persönliche Freiheit und keinen Raum mehr zum Atmen (oder geschweige denn zum höchst-eigenen Verarbeiten der schlechten Nachricht) lässt.
Und – ganz nebenbei bemerkt – auch ohne eine tödliche Krankheit hätte man doch gern mal ein paar Tage, an denen nicht irgendeine wie auch immer geartete Einladung ins Haus flattert, sich ungebetene Spontanbesucher auf dem heimischen Sofa einfinden oder Kollektivveranstaltungen wie ins-Football-Stadion-Fahren oder Highschool-Soccer-Spiele-Anschauen anstehen.

Weniger ist eben doch manchmal mehr.

Was das kirchliche Leben angeht, so hat der Amerikaner hier zunächst einmal die absolute Qual der Wahl. Ich glaube, nirgends auf der Welt gibt es so viele verschiedene Kirchen und religiöse Gemeinschaften wie hier. Jedes noch so kleine Kaff hat mindestens zwei Kirchtürme und unter Garantie einen weiteren religiösen Gemeinschaftsraum aufzuweisen; als Seltenheitskirchgänger kann ich nicht beurteilen, ob all diese Gotteshäuser sich dann auch regen Besuches erfreuen, aber die Vielfalt ist wieder einmal überwältigend amerikanisch und unübersichtlich.
Nachdem es hier offensichtlich auch keines amtlichen Attestes über die grundsätzliche Befähigung zum Ausüben eines geistlichen Gewerbes bedarf, predigt sich hier so mancher einfach durch die Lande, der dann spontan auf öffentlichen Plätzen, großen Kreuzungen oder auch am Strand seine mehr oder minder andächtige Zuhörerschaft rekrutiert.

Ist man dann einmal Teil einer solchen Glaubensgemeinde, klebt einem die nächste Großraum-Beziehungskiste an den Fersen – christliches Miteinander auch hier deutlich im Übermaß. Zu den üblichen freizeitlichen Gemeinschaftsveranstaltungen der Nachbarschafts-Community kommen nun die kirchlichen Events noch hinzu – bei vielen Köpfen pro Haushalt eine wahre Herausforderung für jedes noch so geübte Organisationstalent.

Bei all diesen, meist vor turbulenter Fröhlichkeit strotzenden Cometogethers der unterschiedlichsten Gruppierungen kommt dann die dritte große Landeskraft ungebremst ins Spiel: Politik. Es wird nach Herzenslust laut, kontrovers, größtenteils hochpolemisch und fernab jeder Diplomatie debattiert, dass es jeden um Höflichkeit und Konsens bemühten Besucher nur so schaudert. Niemand hält hier aus Taktgefühl mit seinen politischen Ansichten hinter den Berg – andererseits gibt sich auch niemand auf den Schlips getreten, wenn seine Meinung nicht geteilt wird. Es ist – wie bei allem gemeinschaftlichen Tun – kurz gesagt tumultartig, chaotisch und völlig unüberschaubar. Aber man ist garantiert sofort mittendrin.
Und natürlich ist es so wie überall auf der Welt: Die Jungs am Stammtisch wissen ohnehin immer am besten, wie man regiert…!

Meine ganz persönliche Dreifaltigkeitsdefinition?
God is great – Beer is good – People are crazy!
Schlicht. Einfach. Universal.

kb.