Happy Holiday Season – Vor-Weihnachtszeit in Amerika
Nun ist es amtlich: es weihnachtet in Florida! Wer geglaubt hat, dass die bereits seit gut einem Monat in den hiesigen Geschäften überbordende Weihnachtsdekoration schon alles gewesen wäre, der hat sich wahrlich geirrt. Florida kann mehr – viel mehr!
Im Grunde begann alles mit dem 27. November – Thanksgiving. Das Familienfest in den USA, das die meisten von uns aus amerikanischen Spielfilmen kennen und mit überdimensionierten Truthähnen assoziieren, läutet hier die “Holiday Season” – die Feiertagssaison – ein. Was bei vielen Familien eine sehr feierliche, gesetzte Familienzusammenkunft inklusive Tischgebet und -rede(n) ist, mutierte bei unseren Freunden zu einem bunt-chaotischen “come-together am Pool, trink und iss soviel Du magst!”. Die Kleidung variierte von Jeans mit T-Shirt bis zum “kleinen Schwarzen”, jeder wie und was er mag. Unkompliziert, laut, mit schön gedeckten Tischen, an denen niemand saß, weil es in der Küche ohnehin am gemütlichsten ist, turbulent-unorganisiert, aber ein herrlich familiäres Erlebnis. Ich bin dankbar, dass ich dabei sein durfte!
Noch vor Morgengrauen des nächsten Tages stand dann das ultimative Einkaufserlebnis für die Amerikaner auf dem Kalender: “Black Friday” genannt ist es der Schnäppchentag des Jahres, und besonders die Frühaufsteher werden belohnt: Wer beispielsweise zwischen 3 und 4 Uhr morgens(!) in einem der überregionalen Mega-Geschäfte an den Regalen stand, bekam die neuesten Laptopmodelle für 90 Dollar (umgerechnet etwa 79 Euro); Bettwäsche “zum halben Preis minus 30%”; alles was um PUNKT VIER (wir sprechen immer noch von frühmorgens!) an die Kasse getragen wurde (ein Gongschlag durchdröhnt das Kaufparadies) geht für weitere 10% Rabatt über den Ladentisch. Rabatte, den ganzen Tag lang. Schön auch das Gegenstück zur Morgendämmerung – quasi eine Wiedergutmachung für die benachteiligten Langschläfer: ein Kühlschrank/Waschmaschinen-Dealer, gab dem letzten Käufer des Tages (das Geschäft schließt um 11 Uhr abends) seinen Einkauf als “Two for one” – also zwei Geräte zum Preis von einem. Kein Wunder also, dass noch eine ganze Reihe Kunden bis zum bitter-süßen Ende das Geschäft bevölkerten…
Es muss der absolute Einkaufswahnsinn gewesen sein, der aber leider auch tragische Geschehnisse in die abendlichen Nachrichtensendungen brachte. In einem Wal-mart – Geschäft, das ebenfalls frühmorgens die Türen öffnete, wurde der Mann, der genau dies tun und die Käufermassen hereinlassen wollte, von der losgelöst-wahnsinnigen Menge tot getrampelt. Ein Kerl wie ein Baum, brutal niedergemäht von Gier, Kaufrausch und “me first!!” Und niemand der ebenso ungezügelten Nachfolgenden hat reagiert oder geholfen… Niemand wollte den ersten Schnäppchen-Gong verpassen.
Ein wahrhaft “schwarzer Tag” – nicht nur für Wal-mart, seinen Mitarbeiter und dessen Familie.
Diese Einkaufsauswüchse sind die beschämende und traurige Kehrseite der Festtagssaison 2008. Und wenn das Ganze dann tatsächlich doch noch zu etwas gut gewesen sein soll, dann doch hoffentlich dazu, dass wir alle in einer ruhigen Minute die Wertigkeit unseres alljährlichen Geschenkefiebers noch einmal ernsthaft überdenken. Vielleicht tritt ja dabei der eigentliche Sinn des Weihnachtsfestes wieder mehr hervor…
Mit dem “Black Friday” begann also traditionsgemäß ganz offiziell der amerikanische Weihnachtsendspurt. Während unsere deutsche Weihnacht ja bisweilen etwas getragen-blaustrümpfig daherkommt, handelt es sich hier in Florida im wesentlichen um einen Totalangriff auf das menschliche Sehvermögen und den guten Geschmack, dem sich niemand entziehen kann. Häuser und Vorgärten werden ultimativ mit Lichterketten behängt, die – selbstverständlich – in allen nur möglichen Farben, Formen und Blinkrhythmen vor sich hin weihnachten. Zusätzlich werden wetterfeste Beamer in den Beeten installiert, die fröhliches Lichter-Schneegestöber über’s Haus pusten; lebensgroße Schneekugeln, von innen beleuchtet und höchst putzig besetzt mit Schneemännern, Pinguinen, Weihnachtsmännern – oder bisweilen auch Nikolausmützen tragenden Flamingos – wechseln sich in bunter Folge mit übergroßen lichtzuckenden Weihnachtsbäumen, singenden(!) Schneemännern in Überlebensgröße und allerlei anderen, kuriosen Lichtgestalten ab. Jede Straßenecke ein anderer Song – Überlagerungen inklusive. Noch einmal: wir reden hier von privaten Gärten, nicht von Supermarkt-Dekorationen oder städtischen Steuergeld-Lightshows. Amerikas Familiengärten rüsten auf.
Es ist ein Riesenspaß, abends durch die Gegend zu fahren und mit jeder zurückgelegten Viertelmeile noch schrillere, noch unglaublichere Dekorations-Ein- und Ausfälle zu erleben. Der menschlichen Kreativität ist auf diesem relativ geschmacksentblößten Gebiet keinerlei Grenze gesetzt. Es bedarf schon einer gehörigen Portion Wagemut, sich derart in der Nachbarschaft zu entblöden – das allein (und natürlich die unzweifelhaft große Mühe bei Entwurf und Installation) verdient dann schon wieder Hochachtung.
Gestern nun ereilte mich ein Weihnachtsvorfreude-Gesamterlebnis ganz besonderer Art. Auf meinem abendlichen Weg durch die lichtdurchblinkten Straßen der Umgebung folgte ich schließlich einem übergroßen Lichterglanz zu einem Park, in dem nun aber auch wirklich alles mit Lichterketten behängt war. Kein Baum, kein Strauch, kein Geländer, kein Zaun wurde ausgelassen, um das Ganze in ein schaurig-schönes, knallbuntes Lichterketten-Paradies zu verwandeln. Und nicht etwa nur simple Glühbirnchen – nein nein! Jede Lichterkette formte irgendetwas – Teddybären, tanzende Paare, Eisbärfamilien, Flamingos, Strausse, allerlei Phantasievögel, Weihnachtsmäuse, Schnee- und Weihnachtsmänner aller Art – schmückten Baumkronen und Parkwege – unvorstellbar! Es muss Wochen gebraucht haben, um dieses XXL-Szenario zu vollenden. Und in der prunkvollen Mitte des Ganzen thront ein Riesenweihnachtsbaum, der in etwa dreißig verschiedenen Farbmustern vor sich hin animiert, dass es der helle Wahnsinn für die menschliche Iris ist. Dazu dröhnt aus seinem Bauch zumeist weniger besinnliche, dafür aber markerschütternd laute Weihnachtsmusik durch den Park.
Ein wenig fühlte ich mich wie bei meinem ersten Besuch in Disney World, bei dem ich mit großen Kinderaugen (ich war seinerzeit 36!) durch den Park wunder-wanderte und aus dem Staunen nicht mehr herauskam. Was mir gestern ganz persönlich noch fehlte, waren Zuckerwatte, Lebkuchen und ein Drehorgelspieler. Der hätte aber gegen den lautstarken Weihnachtssuperbaum keine Chance gehabt.
Eine herrlich bunte, schillernde Wunderwelt aus Licht und Kreativität. Mein persönlicher Favorit waren zwei Pinguine, die sich mit Schneebällen bewarfen. Bei Tageslicht muss die Installation furchtbar aussehen und ihren Witz nicht wirklich offenbaren, aber nachts fliegen Schneebälle (kleine Knäuel aus Lichterketten, die nacheinander aufleuchten), zwischen den beiden winterlich bemützten Gesellen hin und her – mal schlagen sie als Volltreffer im Gesicht des Gegenübers auf, mal gehen sie in den Nachthimmel daneben. Dazu sprangen Rentiere in Bögen über die Wege – nacheinander aufleuchtend eine fast magische Illusion. Man denke sich so was aus!
So in eine allumfassende Weihnachtsstimmung katapultiert, habe ich dann auch den Gang in einen der vielen “Christmas Shops” gewagt, die hier übrigens ganzjährig(!) ihr Unwesen treiben und vom Boden bis zur Dachluke mit allem, was auch nur im Entferntesten etwas mit dem Thema zu tun haben könnte, vollgestopft sind. Aber bei 30 Grad, Sonnenschein und Palmen verspürte ich bislang nie das Bedürfnis, mich künstlichem Schneegestöber und Santa-Puppen mit HO-HO-HO-Bariton auszusetzen. Nun aber doch – und es war herrlich! Nicht herrlich im herkömmlichen Sinne, aber gewissermaßen die konsequente Fortsetzung des outdoor-Lichter-Super-GAU’s – wenn nicht sogar eine ungeschmackliche Steigerung – falls das überhaupt möglich sein sollte. Ein unbedingt notwendiger Zwischenstopp auf dem Weg zum Weihnachtsfest und absolut empfehlenswert!
Happy Holidays!
kb.