Provence Today 2 – Über Serpentinen in die Entspannung

3_1_entspanntSchön zu sehen, dass sich in den letzten zehn Jahren gar nicht so sehr viel verändert hat in der Provence – wenn man von den besser ausgebauten (aber deshalb keineswegs besser ausgeschilderten) Hauptstraßen absieht. Über den verkehrsplanerischen Vorteil von Kreisverkehren muss man heute sicherlich nicht mehr diskutieren, aber hier wird jetzt überall gleich im ganz großen Stil gekreiselt, sobald von rechts auch nur ein Feldweg naht.

Obendrein kann hier in den Bergen, in denen man über kilometerlange Strecken durch Serpentinen zwischen 45 und 90 Grad abwechselnd von rechts nach links geschwurbelt wird, das plötzliche Auftauchen eines Kreisverkehrs noch einmal zu einer besonderen Herausforderung werden. Menschen, die unter Drehschwindel leiden, ist dieses Land jedenfalls nicht ohne Vorwarnung zu empfehlen!

Doch schon nach ein paar Touren durch die pittoresken Dörfchen des Lubéron hat man sich an die Kurverei gewöhnt und kann zwischendurch mal wieder aus dem Fenster schauen. Wunderschön ist es hier – gerade jetzt zu Herbstbeginn. Die ersten etwas kühleren Nächte haben sich gleich über das Laub der Bäume und Weinstöcke hergemacht und zaubern wunderbare Farben in die Landschaft. Die ersten Laubfeuer schicken ihre Rauchzeichen und vor allem diesen herrlich herben Geruch übers Land, der für mich seit meinem allerersten Besuch zu einem typischen Provenceerlebnis dazugehört.

Damals wie heute gibt es viele Touristen, die brav und reiseplanmäßig die ausgebauten Strecken und Sehenswürdigkeiten abarbeiten. Sie kommen aus aller Herren Länder, besonders aber aus Amerika und Japan. Und auch unsere deutschen Bundesmitbewohner tummeln sich hier in kleinen bis mittelgroßen Trupps, die dann die dörfliche Idylle mit heimischem Dialekt beschallen:

“Du Häääärbäääärt, guuuuck doch ma, wie schöööön dat hia iss. Häääärbäääärt, nuu guuuuck doch ma – imma wenn de guuucken solllllst, dann guuuuuckste nich!”

Original bleibt eben Original und Ruhrpott ist überall.

Häääärlisch!

 

Gern ergattere ich mir irgendwo einen kleinen Bistrotisch, bestelle Wasser und auch mittags durchaus schon mal ein Gläschen Wein – dann schmecken Foie gras oder Quiche Lorraine doch gleich viel besser! – und schaue dem bunten Treiben zu. Schaulaufen der Nationen – alle Vorurteile werden bedient, kein Klischee wird ausgelassen und der Laden läuft. Mittags machen sie dann alle schlagartig lange Gesichter, wenn die Ladenbesitzer für zwei bis drei Stunden die Türen schließen, um sich ihrerseits einem ausgedehnten Mittagstisch hinzugeben. Dann beginnt die Tour de Table – Schnelligkeit ist angesagt im Kampf um die letzten freien Plätze im Bistro und wer nicht fix genug ist, die Zeichen der Mittagszeit zu erkennen, muss auf die Plastikstühle im türkischen Imbiss ausweichen, der ebenso fremdkörperlich wie absolut daseinsberechtigt in der Fußgängerzone zu finden ist.

Irgendwann hört man dann nur noch emsiges Besteckgeklapper, murmelnde Gespräche – und natürlich Giiiiieselaaa und ihren Häääärbäääärt. Isjaklar!

Aber mal abgesehen von derlei Ausfällen herrscht eine wunderbar entspannte Stimmung, Menschen schlendern durch die Gassen, Hunde streunern umher und hoffen auf milde Gaben, ein bis drei Brunnen beplätschern die Szenerie und das Leben hält für einen Moment einfach mal die Luft an.

Einheimische erkennt man allerdings auf den ersten Blick: Sie gestikulieren mit Händen und Füßen und allen möglichen zweckdienlichen Grimassen, lachen, rauchen, zwinkern – alles zur selben Zeit. Dazwischen parken sie ihre Autos in den definitiv engsten Kreuzungsbereichen – einfach mittendrin: zack! – gehen ins nächstgelegene Bistro, trinken in aller Seelenruhe ihren café au lait, lesen Zeitung, bellen ein au revoir in die Kneipe und verschwinden wieder. Keinen hat’s gestört – keiner hat gehupt – keiner hat sich beschwert… wunderbar. Auch für den Baguetteeinkauf beim Bäcker hält man einfach, lässt den Motor laufen und die Fahrertür offen, springt in den Laden, kauft ein, kommt nach vier Minuten wieder und die Autos hinter einem sind immer noch geduldig und still – außer natürlich, sie kommen aus Hamburg und müssen dringend beweisen, dass ihr BMW auch eine Hupe hat.

Es ist so wunderbar, wie geschmeidig hier alles läuft, unaufgeregt und unaufgeblasen. Was notwendig ist, wird gemacht, und sich aufzuregen ist jetzt offensichtlich absolut nicht notwendig – nicht zur Mittagszeit. Später kann man dann wieder gutgestärkt Touristen durch die Serpentinen jagen.

 

Vive la France!