YES WE CAN! Aufbruchstimmung und ein geschichtlicher Wahlabend

Amerika hat gewählt. Der erste afroamerikanische Präsident regiert von nun an die Vereinigten Staaten von Amerika, die mächtigste Nation der Welt. Barack Obama.

Selbst jetzt, knapp zwölf Stunden nach Verkündung des eindeutigen und überwältigenden Wahlergebnisses will die ganze Bedeutung dieses Weltereignisses noch nicht wirklich in die Köpfe einsinken. Ein unglaublich langer, zäher und kräftezehrender Wahlkampf, der nicht nur den Kandidaten selbst und ihren Teams, sondern auch den Wählern, die sich im Gewirr der Argumente eine eigene Meinung bilden sollten, viel abgefordert hat, ist vorüber. Sicherlich werden sich heute im Laufe des Tages – wie schon zuvor in der langen Wahlnacht – die Analysen überschlagen: an welcher Äußerung welches Kandidaten in welchem Interview oder Staat oder in welcher Wahlkampfrede hat es gelegen? Was hat den Ausschlag gegeben? Und natürlich werden auch hier wieder die Schmutztöpfe geöffnet und alles ans (vermeintliche) Licht gezerrt werden, was den Ausgang der Wahl interpretierbar macht…

Es ist egal. Der neue Präsident ist und bleibt gewählt.

Diese Präsidentschaftswahl ist die wohl patriotischste der Geschichte – in beiden Lagern. Beide Kandidaten lieben “ihr“ Amerika, vertrauen auf die Stärke der Nation, auf Zusammenhalt, auf gemeinsame Kraftanstrengungen und historisch gewachsene Union. Dies gilt es nun, nach einem Wahlkampf, der mehr als jeder zuvor das Land in zwei tagtäglich, auf der Straße und in jedem Gespräch spürbar kontroverse Lager gespalten hat, wieder herzustellen.

Und hierfür haben beide Kandidaten gestern abend viel getan. Sowohl der Gewinner, als aber auch der Verlierer.

Eine Viertelstunde nachdem der haushohe Sieg seines Kontrahenten feststand, trat Mr. McCain vor die Kameras und hielt eine derart staatsmännische Rede, dass selbst seinen politischen Gegnern das Herz lauter schlug. Er zollte seinem Gegner in einer Weise Respekt, die nach einer Niederlage dieser Größe und dieser -nicht zuletzt auch persönlichen- Wichtigkeit alle Hochachtung verdient. Die Originalrede dauerte gute acht Minuten, in denen er dem Präsidenten der Vereinigten Staaten seine uneingeschränkte und konstruktive Gefolgschaft erklärte und alle – insbesondere die BUH-Rufer bei Nennung des Namens Obama – zu eben diesem guten, konstruktiven Miteinander aufforderte. Er setzte sich so an die Spitze einer fairen Opposition, die in der Sache anderer Meinung ist, aber der Person des Gegners Respekt und einem gesamtamerikanischen Präsidenten Ehrerbietung zollt. Chapeau!

Etwa eine Stunde später trat Mr. Obama in Chicago vor die jubelnden Massen und Kameras dieser Welt. Kein Freudentaumel, keine euphorischen, wahlkampfgeschwängerten Parolenreden – hier stand ein entschlossener, ein fokussierter, ruhiger und zuversichtlicher Präsident, dessen Mimik geprägt war von der Geschichte, die hier, gestern durch ihn und mit ihm geschrieben wurde. Auch er zollte seinem Kontrahenten allen Respekt, würdigte alle, die ihn in den letzten 21 Monaten unterstützt haben – aber vor allem nahm er ein ganzes Volk mit in sein Boot, seine Präsidentschaft, seinen Change.

“Change ist nicht mit dieser Wahl gekommen; Change BEGINNT mit dieser Wahl. Und ich brauche Euer aller Hilfe. – Ich respektiere die unterschiedlichen Ansichten in den unterschiedlichen politischen Lagern. Aber ich bin auch der Präsident derer, die mich heute NICHT gewählt haben. Und ich höre Euch zu, gerade, wenn Ihr anderer Meinung seid.“

United.

Nicht gespalten von einem kräfte- und nervenzehrenden, zutiefst persönlichen Wahlkampf. Nicht gespalten in blaue und rote Staaten auf einer Landkarte.

United.

In einem Boot für das Land, das alle Amerikaner lieben.

Nun, möge das gelingen! Jetzt müssen beide Seiten ihre Reden in die Tat umsetzen. Im Wahlkampf trat so oft in den Vordergrund, was der jeweils andere schlecht gemacht hat oder macht oder voraussichtlich machen wird – jetzt heißt es: loslegen, besser machen und mit-machen.

Obama schwor die Amerikaner ein auf ein gemeinsames YES WE CAN und beschwor die Urkräfte eines Landes, das im Laufe der Geschichte gezeigt hat, dass alles möglich ist.

Eben auch ein afroamerikanischer Präsident.

I have a dream…

Es war und ist unglaublich bewegend. Der ganze Wahlabend. Die Reaktionen der Menschen. Mein ganz persönliches Gefühl des Mittendrin-Dabeiseins. Geschichte hautnah.

Da verstummt dann sogar meine latente Lust am Kolportieren – beispielsweise der teils aberwitzigen Wahlpannen – für einen geschichtsträchtigen Moment.

Über dem Land liegt heute morgen eine Art Vakuum – Amerika ist erschöpft nach diesem Wahlkampf, die Menschen haben das Ergebnis aber noch nicht wirklich realisiert, so scheint es – und ich schließe mich da ein. Es ist ein wenig wie in Kindertagen: die Menschen wagen nicht, das Ergebnis laut auszusprechen aus Angst, es könnte dadurch wieder verschwinden. Oder alles könnte nur ein Irrtum sein. Der Alltag hier in Amerika wird noch etwas auf sich warten lassen.

Am besten lässt es sich wohl so beschreiben: erwartungsfrohe Entspannung.

Heute und in den nächsten Tagen wird viel über die Wahl geredet werden in den Wohnzimmern, den Büros und den Kneipen. Ich bin gespannt auf die Kommentare meiner amerikanischen Freunde. Gespannt, ob die Aufbruchstimmung der letzten Nacht das Tageslicht übersteht.

kb.