We pay cash – Von Ballspielen, Werbung und Denunziantentum

Amerika – das Land des Football.
Das Land, indem man die Regeln des Spiels – ebenso wie die des Baseballs übrigens – sowie die Namen der Teams und Spieler mit der Muttermilch aufsaugt. Einige dieser Mysterien werden sich einem Ausländer – und sei er noch so interessiert – erst nach langjährigen Studien gänzlich erschließen. Immer wieder gibt es Spielsituationen, in der selbst ein ausgesprochener Regelpapst ins Schleudern gerät, was dann meist zu erhitzten Bluthochdruck-Debatten führt. Aber Spaß macht’s auch ohne dass man so richtig weiß, warum. Und das geht so:

Vermeiden sollte man natürlich – wie in jedem anderen Stadion auch -, im Umfeld der Fans des gegnerischen Teams seinen jubelnden Kopf allzu weit aus dem Fan-T-Shirt zu strecken. Da führt ein Siegesposing in Richtung der umsitzenden Andersdenker und -jubler dann gern einmal zu einem erhitzten Schlagabtausch, der bisweilen auch handfester werden kann. Von Nutzen ist da ein weniger euphorisch veranlagter Lebensgefährte (m/w), der den leichtsinnigen Jubelbarden noch rechtzeitig in die Schranken „pssssssst!“ und auf den blechernen Tribünensitz zurückbeordert.

Wir reisten wiederum per Partybus an, und unsere muntere Truppe bevölkerte satte vier (!) Stunden den Großparkplatz zusammen mit einem Haufen anderer, wild zusammengewürfelter Fan- und Fahrgemeinschaften. Für derartige XXL-Geschosse ist das die Zeitvorgabe, damit sie nicht den normalen Fanverkehr vor Spielbeginn gänzlich zum Erliegen bringen. Genug Zeit also für Spaß, Bier und Barbeque, Bier und Salat, ein paar Hot Dogs und noch mehr Bier. Dazu gab es dann eine einzige (!) Damentoilette außerhalb des Stadions, die zu allem Wahnsinn und ohne erfindlichen Grund auch noch verschlossen blieb. Herrlich. Da trink ich gleich noch ein Bier…

Der Run auf die Mädelsklos nach Einlass war folglich unvorstellbar. Schlangen bildeten sich in Sekundenschnelle und ebenso schnell verteilten sich die hastig (zuviel) gezogenen Papierhandtücher auf dem feucht-schmutzigen Fußboden. Die Toilettenkämmerchen – glücklicherweise in ausreichender Zahl vorhanden – waren kurzzeitig die Zufluchtstätten aller Dauercamperfrauen, die anschließend (übrigens selten mit wirklich ernsthaft gewaschenen Händen) hastig ins Stadion strömten. Dort war der Tumult des Pre Games bereits in vollem Gange, Maskottchen und Cheerleader schon mit ganzem Körpereinsatz unterwegs, dann die Hymne – der letzte Moment einer feierlichen Besinnung – und schon brach der Sturm richtig los. Wer gedacht hat, der ohrenbetäubende Lärm beim Einmarsch der Mannschaften wäre nicht mehr zu toppen, der hat noch nie geschlagene zweieinhalb Stunden in einem ausverkauften Stadion gehockt und versucht, bei einem schier unvorstellbaren Riesenradau seinem Hirn zumindest die rudimentärsten Regelkenntnisse zu entlocken. Dabei entwickeln die footballgewohnten Amerikaner (ich sage nur: Muttermilch!) auch noch die unglaubliche Fähigkeit, sich freundlich und angeregt (aber leider völlig unverständlich) mit ihren Sitznachbarn zu unterhalten – gern auch über mehrere Sitzreihen hinweg. Für mich ging ab einem gewissen Zeitpunkt alles in einem großen, ultimativen Urkracherlebnis unter, und ich gab einfach auf. Und ich glaube, das ist das wahre Geheimnis: Man schert sich irgendwann um nichts mehr, ist Teil einer wogenden Jubelmasse, glotzt hirnleer aufs Spielfeld hinunter und jubelt, wenn das Stadion jubelt. Punkt. So geht das mit dem Spaß.

Den Spaß versaut dann allerdings eine Unsitte, die das große Medieninteresse mit sich gebracht hat und alle Fans schier aus dem Häuschen geraten lässt: Werbepausen.
Stimmt. Kennen wir von zuhause. Hier in Amerika noch mehr als bei uns in Deutschland – alle fünf Minuten (gefühlte zwei) kommt irgendein aufgeregter Werbefuzzi und dreht den Röhreguckern irgendwas an. Aber im Stadion??!
Nun, zum Glück bleibt man hier (noch) von den Werbeeinblendungen verschont, dafür wird aber – man stelle sich das mal bei einem deutschen Fußballspiel vor – das Spiel unterbrochen! Ja! Das Spiel wird für die Zeit der TV-Werbeeinblendung unterbrochen – wenn auch glücklicherweise nicht alle fünf, sondern „nur“ alle sieben Minuten. Ein kleiner dicker Mann in einem roten Shirt (siehe Photo) tritt (ge-)wichtig aufs Spielfeld und schaut unablässig auf die Armbanduhr. Irgendwann schlendert er wieder zurück an den Spielfeldrand und das tumulthafte Sportgeschehen geht weiter. Bis zum nächsten Mal. Mein Banknachbar erzählte mir, es handele sich in unserem Fall um einen ehemaligen Schiedsrichter, der aufgrund seiner zunehmenden Körperfülle irgendwann konditionell nicht mehr auf der Höhe des Spielgeschehens mithalten konnte und den man nun in dieses wunderbare Kostüm gesteckt und zum „commercial referee“ strafverpflichtet hat.
Hier gibt’s auch für alles einen Namen…!

Dabei ist eine erfreuliche kleine Randnotiz, dass mittlerweile deutlich mehr Werbe-Sendezeit für sogenannte „grüne“ Werbespots genutzt wird, als noch vor einem Jahr, also für Produkte oder Initiativen, die umweltfreundlich sind. Weiter so! Vielleicht kommt ja dann irgendwann mal ein „grünes Männchen“ auf den Rasen, um das Spiel anzuhalten.

Aber vor der Werbung ist ja hier in Amerika ohnehin kein Entkommen. Die Straßenränder sind voll von großen, bunten, lauten und möglichst blinkenden XXL-Werbeschildern, zwischen denen man schon mal gern die eher unscheinbaren Straßenhinweisschilder inklusive Geschwindigkeitsbegrenzungen übersieht. Besonders schön dabei ein großes Werbeplakat, das drei Kaffeebecher zeigt – die typischen To-Go-Pappbecher, überdimensioniert groß und oben raus dampft tatsächlich der Kaffee. Die Werbung für bekennende Kaffeejunkies wie mich!

Eine halbe Meile weiter dann: „We pay cash! You report us about a crime or criminal in your neighborhood- we pay cash for your information! Cash at once. No further questions. Contact us NOW!“ – frei übersetzt ist das ein „Hört mal her, Denunzianten, meldet uns ein Verbrechen oder erzählt uns von jemandem in der Nachbarschaft, der ein Verbrecher ist und wir zahlen cash. Sofort. Wir stellen auch keine Fragen. Ruft uns an. Jetzt!“ Also ich finde ja auch, dass mein Nachbar schon immer so ausgesehen hat, als würde er kleine Kinder fressen. Wieviel die mir für die Info wohl zahlen? Ich ruf da gleich mal an….

Hallo? Geht’s noch?! Nichts gegen ein allgemeines die-Augen-Offenhalten und gesunden Menschenverstand, wenn man was Merkwürdiges beobachtet. Aber wer zum Teufel braucht solche Denunziantenhotlines (und es gibt mehr als eine)? Ist die Krise so schlimm, dass wir solche Wege zum Geldverdienen brauchen? Außerdem dachte ich immer, dass wir genau für solche Beobachtungen die gute, alte Polizei hätten. Wie schnell ist da ein Gerücht in die Welt telefoniert und bezahlt, das sich nur schwer ins rechte Licht zurückdrehen lässt.
Crime watch… you better watch out!

kb.