Patrioten und Freaks – November in Florida

Ich möchte eines vorausschicken: ich mag Amerika. Ich mag viele der Menschen hier, ich mag ihre alltägliche und grundsätzliche Unbefangenheit, und ich mag (und genieße) ihre Gastfreundschaft. Aber Amerika wäre nicht Amerika, wenn es nicht in vielerlei Hinsicht auch grenzwertig schrill wäre. Bei allem so ganz eigenen Charme ist das Ganze bisweilen doch arg schnelllebig und oberflächlich.

So ist hier pünktlich mit dem 1. November ultimativ die Weihnachtszeit ausgebrochen. Nachdem gerade mal tags zuvor alle Kürbis- und kürbisähnlichen Figuren, Gespenster, Hexen, Zauberer und die besonders einladenden schwarzen Riesenspinnen mit einer Spannweite von guten drei Metern ebenso wie die – besonders geschmacksentblößten – Grabsteine mit den Namen der Hausbewohner und deren guten Freunden aus den Vorgärten entsorgt und wieder glücklich auf Dachböden und in Garagen verräumt wurden, folgten ohne jeglichen messbaren Übergang Weihnachtsmänner, Schlitten, Rentiere und sonstige überdimensionierte Weihnachts-Attribute. Immer hart am Rande der Geschmacksverirrung. Nie dezent. Und am schönsten erst dann, wenn’s auch noch leuchtet, funkelt, blinkt oder – großartig – Geräusche macht! Freaky.

Selbst aus unseren deutschen Supermärkten ist man es ja nun leidlich gewohnt, schon im Frühherbst über die ersten Spekulatius- und Dominosteinpackungen zu stolpern, aber das alles ist nichts gegen den Weihnachtswahnsinn auf amerikanischen Konsummeilen. Hier kommt zu all dem verfrühten – und in ganz besonderem Kontrast zu den 25 Grad Celsius draußen stehenden – Weihnachts-Hype nun auch noch die passende musikalische Zwangsbeschallung… Muss ich wirklich ab 1.November meine baumfrische (!) Grapefruit zusammen mit Bing Crosby und Nat King Cole einkaufen?

Nun kam ja in diesem Jahr noch ein weiteres – nicht unerhebliches – Ereignis quasi “dazwischen”: die Amerikaner hatten auch noch die Präsidentschaftswahl zu absolvieren, für die sie – zunächst neben besagten Grabsteinen, dann neben besagten Rentierschlitten – ihre ganz persönlichen Wahlplakate für ihren Wunschkandidaten in die Vorgärten dekorierten. Beruhigend nur: diese waren wenigstens nicht mit Blinklichtern versehen (zumindest habe ich keine gesehen). Nachdem nun dieses kleine, letzte Fünkchen Realität wieder aus den Grundstückseinfahrten verschwunden ist, erscheint – nicht zuletzt durch das historische Wahlergebnis – der ohnehin tageslichttaugliche und gelebte Patriotismus förmlich omnipresent. Und das macht dann auch nicht vor in Landesfarben gefärbten Blumenbouquets (siehe Photo)* halt. Daneben wirkt jedes (blinkende!) Brillengestell mit amerikanischer Flagge und jeder Flip-Flop mit I LOVE MY COUNTRY – Aufschrift schon weniger patriotisch und irgendwie alltäglich.

Aber auch im politischen Alltag mit einer nicht mehr wirklich handlungsfähigen, aber noch im Amt befindlichen Regierung, einem gewählten, aber noch nicht wirklich handlungsfähigen Präsidenten und nicht zuletzt einem durchaus präsenten Verliererteam, trennt sich die Spreu wie immer schnell vom Weizen.

Während der neugewählte demokratische Präsident derzeit sein Kabinett zusammenstellt und dabei auch durchaus Politiker aus dem republikanischen Lager für einige der Posten aus dem derzeit hyperaktiven Gerüchtekessel herausbrodeln, beschäftigen sich die Republikaner für den Moment mit eher parteiinternen Grundsatzfragen hin zu einer klareren Profilschärfe und einem handfesten Programm – eine Befragung der republikanischen Wähler hat nämlich ergeben, dass diese größtenteils nur die im Wahlkampf bis zur Unendlichkeit gedroschenen Slogans auswendig konnten (etwa wie “Drill, Baby, Drill!” oder “The Mac is back!”), sie aber bedauerlicherweise keinen Schimmer hatten, welche politische Aussage dahinter eigentlich zu suchen oder gar zu finden gewesen wäre.
Während daneben aber fast ausnahmslos alle Gruppierungen, Parteien und ja auch nicht zuletzt der Verlierer der Wahl, Senator McCain, sich einem zukünftig gemeinschaftlichen und parteiübergreifenden Handeln in den Dienst stellen, währenddessen machen sich ein paar wenige auf und kümmern sich um die wohl wirklich wichtigen Dinge:

Einige – noch dazu anonyme – Versuchskomiker aus dem republikanischen Lager meinen nun, nachträglich die Kompetenz und Eignung ihrer eigenen Vizepräsidentschaftskandidatin, Sarah Palin, anzweifeln und – weil sie grad so schön im Schwung sind – die Dame nach Strich und Faden demontieren zu müssen. Nun, es mag ja sein, dass Frau Palin nicht immer den allerhellsten Eindruck gemacht und sich im Wahlkampf nun wirklich nicht immer mit den schlauesten Bemerkungen in die Schlagzeilen katapultiert hat, aber – und diese Frage drängt sich ja nun wirklich auf – warum, in aller Welt, haben dann eben genau diese Republikaner und Parteigenossen genau diese Frau diesen Job machen lassen? Und ihr zugejubelt haben sie ja wohl auch. Und jetzt? Die Wahl ist verloren – wem geben wir die Schuld?

Freunde, Republikaner, Spießgesellen…!

Aber auch Mr. Obama, “President-elect” und damit unter ständiger Beobachtung, lernt schon mal die ersten Lektionen seines neuen Amtes. Bei seiner ersten Pressekonferenz nach der Wahl stellte er seine ersten politischen Schritte sowie das erste “Gesicht” seines Kabinetts, seinen frisch ernannten Chief of Staff vor. Neben aller Professionalität, die er seinem neuen Amt gemäß ausstrahlte, gab er sich aber dennoch erfrischend kurzweilig. Er erkundigte sich freundlich nach der Verletzung einer am Arm begipsten Reporterin, die auf dem Weg zu seiner Siegesrede gestolpert war. Schmunzelnd hoffte er, dies möge doch der einzige ernsthafte Unfall während seiner Siegesparty geblieben sein. Auf eine der anschließenden Reporterfragen antwortete er dann, ja, er habe mit allen bisherigen amerikanischen Präsidenten gesprochen – soweit diese denn noch am Leben seien – also: Bill Clinton, George Bush… – er habe aber nicht an einer Science mit Nancy Reagan teilgenommen…

Wenngleich man nun davon ausgehen könnte, dass Altpräsident Reagan ihm bei dieser Gelegenheit aus dem Jenseits ja vielleicht noch den ein oder anderen hilfreichen Rat hätte geben können, ist jedes weitere Herumphilosophieren und Hineininterpretieren ob einer derartig launigen und humoristischen Bemerkung wirklich überflüssig. Aber seit wann darf denn ein Präsident zu Scherzen aufgelegt sein? Seit wann sind launige Bemerkungen oder Humor präsidential?
Natürlich und sofort stürzten sich die Medien auf den Mann und forderten eine Entschuldigung bei Mrs.Reagan. Späterhin wurde dann – deutlich leiser übrigens – berichtet, Mrs.Reagan hätte die humorvolle Randbemerkung des Herrn Obama durchaus als solche verstanden… Womit mal wieder bewiesen ist: auch Humorverständnis setzt Intelligenz voraus.

Meine Herren, es darf (auch) gelacht werden!

Glücklicherweise ist abseits dieser Kuriositäten die Mehrzahl der Amerikaner scheinbar tatsächlich auf einem Weg zu mehr Gemeinschaft – angeführt von Präsident Obama, unterstützt von Mr. McCain und vielen, vielen anderen. Vielleicht ist ja wirklich bald wieder UNITED WE STAND die amerikanische Grundeinstellung. Hauptsache, die Medien gehen diesen Weg. Denn wir wissen doch alle: Was in der Zeitung steht oder in den Acht-Uhr-Nachrichten war, ist gut, richtig und wahr…. oder?!

kb.