Mit 200 Sachen ins Urlaubsparadies – Stürmische Begrüßung in Florida

Das Schönste an einem langen Flug ist, wenn er irgendwann vorüber ist. Zunächst ist ja alles noch ganz reisespannend: die netten Damen vom Service, Zeitungen und Magazine for free, hier ein Häppelchen, dort ein Drink. Doch irgendwann dringt das Dauer-Fluggetöse der Maschine auch bis ins gutmütigste Vielfliegergemüt vor, der Nachbar vorne schnarcht, dass sich die Tragflächen biegen, die Mitreisenden hinter mir tauschen seit Frankfurt non-stop ihr gesamtes Oberflächlichkeitswissen aus und lassen sich dabei auch von der allmählich rundum einkehrenden Nachtruhe nicht stören.

Der Nachbar rechts hat sich’s inzwischen so schön gemütlich gemacht, dass ich aber auch nicht die leiseste Chance habe, mir während der gefühlten Flugewigkeit auf dem Gang die Beine zu vertreten, weil dies gleichbedeutend wäre mit einer höchst seltsamen Überkletterung des dort dösenden Geschöpfs, das garantiert in genau dem Moment erschrocken die Augen aufschlägt, wenn ich direkt und in deutlich verfänglicher Pose über ihm bin. Also schlafen irgendwann statt meiner selbst meine Beine ein, die ich fortan mit kreisenden, rüttelnden und massierenden Bewegungen versuche, am Leben zu halten.

Na ja, man bleibt beschäftigt.

Rausgucken ist auch nicht – die Plastikjalousien bleiben nach mehrfachen Drohgebärden der einstmals freundlichen Stewardess tapfer geschlossen – schließlich ist trotz deutschgefühlter Nacht über den Wolken gen Westen noch knatterheller Tag und das grelle Licht, das bei offenen Jalousien über uns hereinbräche, würde die geschätzten Mitreisenden sofort nachhaltig aus den Träumen katapultieren. Also verharre ich in airline-verordneter Dunkelheit und lenke mich mit den neuesten Kinohits ab.

In Orlando verlasse ich dann ziemlich gerädert das Fluggerät, sehe zu meinem Entsetzen auch genauso aus und stelle mich mit einem Mindestmaß an Geduld und ausgefüllten Einreisepapieren im grellen Neonlicht der Einwanderungsbehörde an, die gerade drei Maschinen gleichzeitig abfertigen muss. Eine schier endlose Menschenschlange stimmt die Touristen schon mal stilsicher auf den Eingangsparcours von Disney World ein, während ein Dauerwerbespot die Einreisenden im oberen Dezibelbereich über die Schönheiten der Vereinigten Staaten informiert. Als ich schließlich nach schlappen fünfundsechzig Minuten und einigen banalen Fragen des Beamten zum Gepäckband vordringe, will ich eigentlich nur noch hier raus.

Vor diesen frommen Wunsch hat dann aber der Reisegott den Mietwagenschalter platziert, den es als letzte vorankünftliche Hürde nun auch noch zu überwinden gilt. Noch einmal Schlangestehen, noch einmal Papierkram, Stempel, Komplikationen, Nachfragen, noch mehr Papierkram und endlich der alles entscheidende, erlösende Stempel, ein rasch angeknipstes Lächeln der tiefenentnervten Servicedame. „Have a nice trip!“ säuselt sie und weg bin ich.

Draußen riecht es nach Urlaub.

Ich hab’s geschafft: vom gerade mal frühlingshaften Erstkontakt in Deutschland mitten hinein in die schwül-feuchte Tropenwärme. Herrlich! Pullover aus, Motor an, ab auf den Highway. Zack ist es dunkel geworden – das geht hier deutlich schneller als zuhause, daran muss ich mich erst wieder gewöhnen. Auf dem Baustellenparcours Richtung boondocks (zu deutsch: tiefste Wallapampa) durchzucken einige Blitze den nachtschwarzen Himmel, irgendwann prasselt Regen auf Dach und Scheibe. Geschwindigkeitsbegrenzungen erleben einen rapiden Übergang in die Bedeutungslosigkeit: Man darf ohnehin nur 120 km/h fahren, sehen kann man bloß für knappe 40 km/h, und so dauern die 40 Kilometer heimwärts dann auch länger als üblich.

Dafür sind sie schön beleuchtet – blitzartig.

Irgendwann ergibt sich aus dem Radiobeschallungstumult, den meine deutschen Ohren erst einmal wieder sortieren müssen, eine handfeste Tornadowarnung für den ganzen County. Na herrlich! Fliegende Blätter, Palmwedel und sonstiges, was nicht an seinem angestammten Platz bleiben will, rauschende Regenfluten, die die Welt blitzartig unter Pfützen setzen, werden dann schließlich durch pfeifende und singende Sturmböen abgelöst, die ums heimische Leichtbauhaus rauschen. Dazu schwefelgelbes Halbdunkel und weintraubengroße Regentropfen.

Was für ein Start!

1a_umgestürzte PalmeIn der Nacht tobt der Sturm direkt über uns – etwas mulmig wird’s einem da schon, wenn das heimische Kleinstkaff, das sonst niemand ohne handfesten Grund auf einer Landkarte suchen würde, in den Nachrichten namentlich als eines der unmittelbaren Zielgebiete der Sturmserie genannt wird…

Durchorganisiert ist so ein Minikatastrophenalarm im Sunshine State aber allemal: Zuhause klingelt das Telefon – ein automatisches Tornadowarnsystem ruft alle Haushalte solange an, bis entweder jemand rangeht oder die Tornadowarnung aufgehoben ist, um über den Tornado zu informieren und Anweisungen zu geben, was jetzt vorbeugend zu tun ist (zuhause bleiben, alles Bewegliche inklusive gegebenenfalls noch draußen rumkrabbelnder Kleinkinder einsammeln, nicht direkt an den Fenstern sitzen/stehen/liegen, den zentralsten, stabilsten und damit zumeist kleinsten Raum des Hauses aufsuchen, im Fernsehen den „Weather Channel“ einschalten, der den lieben langen Tag ohnehin ausschließlich über’s Wetter berichtet). Von dort quäkt dann eine unüberhörbar röhrige Warnhupe jede Minute durch die Wohnstatt, damit man keine Warnmeldung verpasst.

Verpasst man dann auch nicht…

Der Sender berichtet mit Radarbildern und Newsticker über den genauen Verlauf der Tornadofront, was einem nach einiger Zeit das gute Gefühl gibt, der Spuk könnte dann auch tatsächlich irgendwann mal wieder vorbei sein.

Tags darauf sieht die Welt dann wieder aus wie aus dem Katalog – blauer Himmel, Sonnenschein, Golfwägelchen schaukeln das Spielervolk durch die sattgrüne Botanik – Florida tut gleich wieder, als wäre nix gewesen. Und unsere sturmerprobten einheimischen Freunde kommentierten das Ganze achselzuckend als „ziemlich windig“.

Einzig die Aufräumarbeiten ringsum erinnern jetzt noch an den stürmischen Empfang: mit 200 Sachen Windgeschwindigkeit mitten hinein ins Urlaubsparadies! Welcome to Tornado-Country…

 

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