Die Job-Erfinder – Statistik ist nicht alles

Nichts ist so viel oder so wenig aussagekräftig wie eine Statistik. Hängt eben immer davon ab, welche Absicht man mit der Statistik verfolgt und davon, unter welchem Blickwinkel man die Ergebnisse dann auf das buchstäblich geduldige Papier niederpinselt. Besonders in Amerika – und hier ganz besonders im Sportjournalismus – zeigt sich Tag für Tag eine derart detailbegeisterte Statistikverliebtheit, dass es den Fernsehzuschauer bisweilen nur so gruselt.
Wann welcher Spieler wo gewonnen hat, ist ja durchaus interessant. Aber bei welchen dieser Events er nach fünf Minuten, einer Stunde oder 85 Minuten mit wie viel Punkten/Zählern/Schlägen im Vorsprung oder gar mit welchem Abstand er zur selben Zeit im Rückstand lag, ist für das aktuelle Spielgeschehen so was von uninteressant… Wie oft der Spieler dann allerdings beispielsweise in einer Finalrunde mit mehr als x cm Niederschlag pro Quadratzentimeter welche Ergebnisse erzielte, welche Farbe sein Hemd hatte und wer zu dieser Zeit und für wie lange noch sein Trainer war, interessiert hingegen sicherlich die Nation. Mir persönlich fehlt eigentlich noch die sagenhaft wichtige Information, wie oft ebendieser Spieler im letzten Jahr mittwochs zwischen 15 und 18 Uhr mit seinem Trainer telefoniert hat und wie viele sms sie im Vergleichszeitraum des Vorjahres miteinander gewechselt haben. DAS würde doch mal die konditionelle und psychische Verfassung eines Athleten wirklich von innen her beleuchten…

Alles wird hier komplett zu Tode analysiert – ganz gleich, ob die Basisinformation eine Tatsache ist oder auf purer Spekulation beruht: alles hat seine ganz eigene Statistik – nein besser noch: mehrere. Irgendwann ist man als Zuschauer so vollgestopft mit statistischen Werten, dass man darüber das Endergebnis des Spiels ebenso erschöpft übersieht wie die OFF-Taste auf der Fernbedienung. Paralyse durch Analyse. Aber schließlich wollen ja all die in die Jahre gekommenen Ex-Sportler, Ex-Trainer und Alt-Journalisten – sowie natürlich alle drittklassigen Möchtegernkommentatoren, die es niemals auch nur in die C-Jugend geschafft haben – ihren Job rechtfertigen und behalten.

Gleiches gilt übrigens auch für Wirtschaft und Politik. Derzeit versucht nun also die ganze Welt, mit halbwegs heiler Haut aus der Wirtschaftskrise herauszukommen, und zu Informations- aber vor allem Motivationszwecken werden allerorten immer neue Prognosen von Sachverständigen und Analysten verbreitet. Von den Medien zur Sendezeitfüllung gern genommen werden in solchen Fällen selbsternannte Experten, die mit teilweise durchaus guter Medienpräsenz ein angeblich profundes Insiderwissen verstrahlen, dessen Quellen bisweilen jedoch fragwürdig – mindestens aber nicht nachvollziehbar sind. Nur weil jemand mal in einem Arbeits- oder Einwohnermeldeamt gearbeitet hat, qualifiziert ihn das noch nicht zu Aussagen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung eines Landes. Das wäre ja in etwa so, wie wenn ein Golfschnupperkurs-Erstling die Schwungkurve eines Tiger Woods analysieren wollte….

Ein schönes Beispiel gern beachteter Statistiken sind da immer wieder die aktuellen Arbeitslosenzahlen, die monatlich öffentlich kundgetan werden. Weniger Arbeitslose heißt dabei unmissverständlich: der Wirtschaft geht es besser – Hurra! Es geht bergauf! Nun heißt es aber nicht umsonst: „Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst manipuliert hast“ und deshalb bilden derlei Auswertungen natürlich auch immer nur einen Teil (und günstigstenfalls den derzeit politisch oder argumentativ zweckdienlichen) ab. Und so werden dann zu statistikreinigenden Zwecken gern immer neue Jobs erfunden, damit immer weniger Menschen als offiziell arbeitslos gelten. Wenn man sich diese Jobs dann aber mal von Nahem betrachtet, so verdienen viele von ihnen nicht mal diese Bezeichnung.

Überhaupt gibt es in Amerika Jobs, die gibt’s gar nicht:
Am Flughafen in Orlando beispielsweise verkehren kleine Schuttlebähnchen, die die Reisenden vom zentralen Abflugterminal zu den einzelnen Gates befördern. Fast lautloser Regelverkehr im Zweiminutentakt, mehr oder minder leise untermalt von klassischer Musikbeschallung im niederen Penetranzbereich. Bis vor etwa zwei Jahren war das ganz einfach: Bahn kommt, Türen auf, Leute raus, neue Leute rein, Tür zu, Abfahrt. Alles gut. Heute sind die Publikumsmassen streng nach Fahrtrichtung getrennt – man steigt zur einen Seite des Zuges aus, zur anderen ein. Außerdem braucht es hier jetzt Beamte – schicke Uniform, ernster Gesichtsausdruck, volle Autorität – die das mittlerweile wichtigste Utensil moderner Menschenmassendompteure bedienen: kleine schwarze Metallständer, ca. 1,50 m hoch, mindestens zwei an der Zahl, aus denen sich am oberen Ende breite Bänder entrollen lassen, die dann eine putzige, nichts wirklich aufhaltende Absperrung bilden (in Deutschland heißen die übrigens „Personenleitsysteme“). Na ja, kein Durchgang jedenfalls – außer die uniformierte Obrigkeit gibt gnädig den Weg, will sagen: das Band frei. Pffffft! auf.
Am Shuttlebahnsteig stehen nun also drei ebenso schmucke wie desinteressierte Beamte bereit, die bei jeder Zugeinfahrt den Menschenstrom regeln – also das, was bis vorher völlig selbsttätig funktionierte. Heute bedarf es also eines Beamten je Bahnsteig, der vor den (geschlossenen!) Waggontüren einzeln seine kleinen Bändchenbarrikaden aufstellt und diese – natürlich erst, nachdem sämtliche bisherigen Passagiere auf der anderen Seite den Zug verlassen haben – auf dieser Seite einzeln aufschnippt – Pffffft! -die Passagiere (bei dann geöffneten Waggontüren – (die Logik ergäbe sich übrigens auch ohne Anwesenheit eines Beamten) einsteigen lässt und sofort danach die Bändchengirlanden wieder zubastelt. Was für ein Job! Diese Amtsträger bedienen sich dabei eines elegant-gelangweilten Schlenderschritts, der ihre gesamtnationale Bedeutung deutlich unterstreicht und diesem absoluten Storno-Job etwas enorm Wichtiges verleiht. Ich frage mich, wo man so was lernen kann – gibt es irgendwo in der Wüste Nevadas Trainingscamps für unmotivierte Kleinstjobber?

Dabei haben die Herrschaften am Flughafen ja noch Glück: nicht jeder bekommt eine so schöne, Autorität verstrahlende polizeiähnliche Uniform. Die Amerikaner lieben es, wenn ihre Dienstleister Uniform tragen – aber bisweilen gereicht dieselbe dann eher zur Kostümierung mit hohem Belustigungsfaktor. Man denke nur an die Hähnchen-Fast-Food-Kette, die ihre Mitarbeiter ein Jahr lang in Hühnerkostümen hinter dem Tresen stehen ließ; oder unsere Kassiererin heute im Supermarkt (siehe Photo), die sich mit einem aktionsplakatierten Sombrero „schmücken“ durfte. Gern genommen werden auch Promotioner, die in jahreszeitlich angepassten Ganzkörperkostümchen durch die Malls und Supermärkte schlendern und in Sachen Kundenansprache wohl eher ein erhöhtes Herzinfarktrisiko zur Folge haben. Wurden Sie schon mal von einem sprechenden Grillwürstchen angequatscht? Na sehen Sie…!

Und dies sind nur wenige der vielen hundert Beispiele eigentlich komplett idiotischer und nutzloser Jobs, die aber ganz wunderbar die Arbeitslosenstatistik schönen, von denen aber weder jemand satt wird noch seine Wohnung bezahlen kann. Wenn man bedenkt, dass die zumeist schwerstarbeitenden Kellnerinnen in den tausenden Bars und Restaurants des Landes den größten Teil ihres Einkommens aus ihrem Trinkgeld bestreiten, kann man sich vorstellen, wie die Löhne hier aussehen. Löhne, für die kaum ein Deutscher auch nur aus dem Haus gehen würde, und das bei schlechter bis gar keiner Krankenkassen- und Altersversorgung. Kein Wunder, dass die meisten hier gleich mehrere Jobs nebeneinander haben und diese dann auch bis ins hohe Alter stemmen. Gerade in Florida finden sich überall Menschen jenseits der 70, die noch immer ihr täglich Brot selbst verdienen (müssen). In den Supermärkten packen sie für die Kunden die Einkaufstüten, tragen einem die Einkäufe zum Auto oder arbeiten in den unzähligen Golfclubs als Cart-Boys, die die Elektrokarren für die Golfrunde bereitstellen. Jede noch so kleine Dienstleistung ist in Amerika ein eigener Job – und hat ihren eigenen Titel, versteht sich. „Chief Executive Customer Attendant“ klingt halt auch wichtiger als „Tütenpacker-Schrägstrich-Träger“ und „Head Promotioner Food Services“ besser als „sprechende Bratwurst“, oder?!
Also merke: Nicht nur Statistiken können täuschen- Titel auch.

kb.