Amerika – (r)eine Geschmackssache – Ein gänzlich unpolitischer Blick auf ein paar amerikanische Vorlieben

Über die Freude der Amerikaner an allem, was laut ist und wohlmöglich auch noch Blinklichter hat, habe ich mich anderenorts schon ein wenig ausgelassen. Aber es gibt noch mehr zu entdecken im Land der unbegrenzten Möglichkeiten – noch mehr, das durchaus einen schmunzelnden zweiten Blick Wert ist.

Beginnen wir mit dem amerikanischen Frühstück, das für sich genommen schon eine Herausforderung ist. Die kühne Kombination von gebratenen Eiern, Speck, Schinken, kleinen Grillwürstchen, Grits (Hafergrütze), Hash Browns (ähnlich unseren Kartoffelpuffern) und Pfannkuchen – beim “full breakfast” alles traut vereint auf einem Teller – stellt nicht nur das frühmorgendliche Fassungsvermögen, sondern auch den allerbesten guten Willen auf eine harte Probe. Die gleich stapelweise aufgefahrenen süßen Pfannkuchen, das sei noch erwähnt, werden dabei von einem Klecks gesalzener(!) Butter gekrönt. Um den Salzgeschmack unmittelbar wieder auszugleichen, schüttet man sich dann den mitgelieferten Sirup drüber – und vollendet so die kunstvolle Symbiose aller Gerichte zum ultimativen Geschmacks-GAU. Na bitte.

So gestärkt und kulinarisch beglückt marschieren die Amerikaner in den Tag, der noch mehr solcher Herausforderungen zu bieten hat. Gern möchte ich an erster Stelle jene Mittagsgerichte nennen, die schon optisch einer Mutprobe gleichkommen: Vielerorts schlicht “meal combos” genannt bestehen sie aus Fleisch meist unbekannten Ursprungs und einer großen Kelle weichgekochtem Squash (ein kürbis/zucchini-ähnliches Gemüse), das dann unter einer Flutwelle brauner Soße beerdigt wird. Diese “combos” kommen (angeblich) in unterschiedlichen Variationen daher, die meist jedoch nicht wirklich unterschiedlich schmecken, einfach weil die Soße immer aus demselben Topf kommt.
Schön ist auch “surf and turf” – die etwas eigenwillige Zusammenstellung von Steak und Hummer, wobei dann auch hier das ultimativ verbindende Element die Soße ist.

Da lob ich mir ein piepnormales Steak, einen notfalls lauwarmen Hot Dog oder einen schlichten Hamburger. Die gibt’s hier nämlich auch.

Im sozialen Geschmacksleben entwickelt der Amerikaner dann eine durchaus skurrile Affinität zu Klappstühlen und Ballspielen, dies umso mehr bei herannahender Dunkelheit.

Die Liebe zu Mannschafts-Ballspielen aller Härtegrade durchzieht ein amerikanisches Menschenleben von der Wiege bis zur Bahre. Spielregeln werden quasi mit der Muttermilch aufgesogen, jeder Amerikaner ist (zumindest theoretisch) ein Profi. Kürzlich hatte ich nun zum ersten Mal die Gelegenheit, ein College-Footballspiel mitzuerleben. Ich muss gestehen, dass sich mir die Regeln dieses all-American Spiels nicht wirklich in ihrer Gänze erschlossen haben. Immerhin hatte ich aber schon Pluspunkte gesammelt (Google sei Dank!) und die Farben des freundschaft-schuldigst zu bejubelnden Teams angezogen. Das ist fast so gut wie ein Touch-Down!
Aber zurück zu den Klappstühlen.

Kick-off für das Spiel war um 20.15 Uhr, wie trafen uns deutlich rechtzeitig nachmittags um drei. Und auf dem Parkplatz stand nun keineswegs der familienfreundliche Van meiner Freunde, sondern ein ausgewachsener Bus – und auch die sind hier größer als anderswo. Aber dazu später noch mehr.
Der Bus entpuppte sich als rollendes Wohnzimmer mit zwei Räumen, acht Schlafkojen mit dem fragwürdigen Alkovenkomfort der Deutschen Bahn, zwei Riesensofas, die in schaurig gemusterten Bezügen daherkamen, zwei überdimensionierten Flatscreen-Fernsehern, einer großzügig bestückten Bar, zwei ebenso großzügigen Kühlschränken und einer Bordtoilette à la Lufthansa.
Wir fuhren eine gute halbe Stunde bis zum Stadion in Orlando und bogen dort auf einen Schotterparkplatz, reserviert für ebensolche XXL-Geschosse wie das unsere, ein. Als der Bus seine Parkposition erreicht hatte, fuhr eine seiner Außenwände unter sanftem Motörchengebrumm nach außen(!) und vergrößerte so den Platz im Innern um die Hälfte. Soviel dann also zu wirklich großen Bussen.
Aber drinnen saß sowieso niemand.
In Windeseile wurde eine Unmenge Klappstühle aus dem Bauch des Busses zutage gefördert und auf dem Schotterparkplatz aufgestellt. Zwei Klapptische kamen hinzu, eine stattliche Anzahl Bier- und sonstiger Flaschen und – last but not least – selbstgemachtes Essen in rauen Mengen. Es war jetzt 16.00 Uhr. Die vier Stunden schwindenden Tageslichts bis zum Kick-off verbrachten wir in einer seltsam abgefahrenen, flutlichtbestrahlten Atmosphäre mitten zwischen kampftrinkenden Jugendlichen, Spiele spielenden Erwachsenen, johlenden Football- und Campingfans auf einem Parkplatz umringt von Bussen und Klappstühlen, die Luft gefüllt von Gelächter und Gesprächen – ein unvergessliches Erlebnis, wenn auch für deutsche Verhältnisse ziemlich unvorstellbar.

Vom Spiel selbst habe ich nur einige Schlaglichter in Erinnerung, wie beispielsweise die Eröffnungszeremonie mit einer hundertköpfigen Marschkapelle, die hübsche Bildchen aufs Rasengrün formierte – so u.a. den Schriftzug der gastgebenden University of Florida (UCF) – siehe Photo. Nach einem bewegenden Moment der vom gesamten Stadion mitgesungenen Nationalhymne spielten während des Kampfgetümmels auf dem Rasen vor allem die Cheerleading Teams – der Stolz aller amerikanischen Mütter und Väter – eine bedeutsame Rolle. Ganz abgesehen von einem vollständig wildgewordenen Maskottchen, natürlich.
Es wurde schrecklich viel gebrüllt und gebuht, Schiedsrichter, Trainer und diverse Feldspieler der Reihe nach zum sofortigen Rücktritt aufgefordert, Spielzüge diskutiert (ich war schon froh, wenn ich in dem ganzen Wahnsinn die “Pille” überhaupt einmal zu Gesicht bekam!), und über allem dröhnte eine allgegenwärtige Stadionbeschallung im obersten Lautstärkelevel.
Ein herrlicher Tumult!

Aber die amerikanische Klappstuhldynamik beschränkt sich keineswegs auf abendliche Ballspiel-Events. Gestern erlebte ich ein waschechtes Dorffest in einem sonst sehr verschlafenen Nest am Golf von Mexiko. Bunte Buden reihten sich unter alten Bäumen munter aneinander und erfüllten allen essensgesteuerten Besuchern wie mir jeden noch so ausgefallenen Wunsch (siehe oben). Daneben tummelten sich einige versprengte T-Shirt-Shops, lokale Vereine, die örtliche Feuerwehr und Live Musik. Und dazu – klar: Klappstühle!
Im Verlaufe des Geschehens wurden die Unvermeidlichen willkürlich auf dem Festrasen verteilt und schließlich, mit Einsetzen der Dämmerung, von ihren Besitzern nicht nur auf wundersame Weise wiedergefunden, sondern auch buchstäblich besessen. Camperromantik bis der Arzt kommt.

Schöne Grüße aus Amerika!

kb.