Alles folgt einem Plan – Amerika. Ein Jahr später.

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Knapp ein Jahr ist vergangen seit der geschichtsträchtigen Wahl des ersten afroamerikanischen Präsidenten der Vereinigten Staaten, und es zieht mich an den Ort des Geschehens zurück – Amerika.
Auf den ersten Blick scheint alles unverändert: Trotz Wirtschaftskrise herrschen noch immer Verschwendung und der typisch amerikanische Größer-Besser-Schneller-Wahn; noch immer ist Werbung – egal ob im täglichen TV-Dauerterror oder direkt neben der Straße – aggressiver, lauter und präsenter als in irgendeinem anderen Land der Welt, das ich kenne; und noch immer sind die Menschen erfrischend unkompliziert und gastfreundlich. Im Alltäglichen liegen zumeist noch alle Steine unverändert aufeinander und die Krise springt dem Besucher eigentlich nur in Form von (Haus)-Versteigerungsankündigungen und weiteren inzwischen geschlossenen Geschäften ins Auge.

Im politischen Lager will es mir scheinen, dass der Tonfall gemäßigter geworden ist. Vielleicht ist das aber auch nur der Gegensatz zu den aufgewühlt-emotionalen Vor- und Nachwahlkampfzeiten des letzten Jahres – oder schier: Wunschdenken. Der Spirit des YES WE CAN ist längst nicht mehr so offensichtlich omnipräsent – er ist aber auch keineswegs alltäglich geworden. Besonders die schwarze Bevölkerung zeigt und lebt ihr neu entfachtes Selbstbewusstsein deutlicher den je, und das ist auch gut so. Andere Minderheiten, wie etwa die Latinos, haben sich von einem farbigen Präsidenten mehr Veränderung erwartet und beginnen, unruhig mit den Füßen zu scharren. Wenngleich sich mir nicht erschließen will, wie ein Mann, der nicht nur seinen Schreibtisch sondern auch alle Hände voll zu tun hat, Wege aus einer historischen Wirtschaftskrise, zwei Kriegen und dem bestehenden Gesundheitssystem (das sich als eine wahre Hydra der Innenpolitik erweist) zu finden, all das auch noch in seinem ersten erwartungsüberladenen Amtsjahr bewältigen soll. Nebenbei bemerkt hat sich faktisch für die schwarzen Mitbewohner ja auch nichts verändert – sie tragen halt einfach ihren Kopf aufrechter auf den Schultern. Könnten die anderen Minderheiten ja auch mal versuchen. Macht sich gut und hilft beim YES WE CAN… mehr jedenfalls als verfrühte Präsidentenschelte.

Helfen kann auch der Friedensnobelpreis. Etwas unglücklich dabei nur, dass die Entscheidung des Komitees bereits so kurz nach Herrn Obamas Amtsantritt gefällt wurde, ohne erst einmal die Langzeitwirkung des neu erwachten All things are possible und dessen politische Schubwirkung und Ergebnisse abzuwarten. Vielleicht ein wenig allzu eilfertig, die Damen und Herren, im übrigen aber ein Spiegel der schier unglaublichen Hoffnungen, die dieser Mann auf seinen Schultern trägt. Unmittelbar nach Bekanntgabe der Preiszuteilung haben dann sowohl der ehemalige Wahlkampfrivale McCain als auch Californiens Gouverneur und „Germanator“ Arnold Schwarzenegger aus dem Republikanerlager dem Präsidenten gratuliert und die Preisvergabe an ihn gelobt. Kollegial. Humoristische Schnellschuss-Reaktion eines Mitarbeiters des Weißen Hauses: „Besser, unser Präsident wird mit Preisen beworfen als mit Schuhen!“ Man erinnere sich hier an das oft persiflierte Schuhwerfer-Attentat eines Reporters auf Amtsvorgänger George W.Bush.

Doch mal ganz ehrlich: was wäre so falsch daran, wenn Mr. Obama nicht nur – wie geschehen – die Hand nach allen Völkern, Religionen und Kulturen der Welt ausstreckte, sondern sie auch von all jenen ernstgemeint und ohne Hintergedanken ergriffen würde? Was wäre so falsch an einer Welt, in der endlich mal alle an einem gemeinsamen Strang zögen? Eine Welt, die sich letztlich doch noch von ihrer unsäglichen Abhängigkeit von Lobbyisten, Geschäftemachern, Waffenschiebern und sonstigen Hintergrunddrahtziehern freimachen und ernsthaft Welt-Politik betreiben würde? Was, wenn dies hier unsere Chance dazu wäre? Was, wenn uns nur wieder einmal Glaube, Hoffnung und Vertrauen fehlten, um es geschehen zu lassen? Aber dazu bedarf es wohl mehr als nur eines Schattens, über den es zu springen hieße. Und viele Strukturen sind wohl dermaßen verklebt durch jahrhundertelange Seilschaften und Korruption, dass es sich in diesem Sumpf gar nicht mehr gut springen lässt.
Schade. Der Plan klingt gut.

Apropos Plan:
Zumeist haben ja auch Brautpaare einen. Und für den Fall, dass sie keinen haben, gibt es mittlerweile allerorten Wedding Planner, also Menschen, die von Berufs wegen Pläne für andere (Hochzeiten) machen. Kleine Unterstützung für die weniger Kreativen unter uns – schön und gut und manchmal dringend notwendig. Bisweilen wächst sich das Ganze dann allerdings zu einem unglaublichen wedding overkill voller Rüschen, Schleifen, Zuckerguss und überbordenden (Tisch)-Dekorationen aus, die eine verrenkungsfreie Kommunikation nahezu unmöglich machen. Weniger ist eben manchmal mehr…

Nun liegen ja Hochzeiten grundsätzlich wieder voll im Trend, ganz besonders beliebt scheinen mir aber Zeremonien am Strand – Meeresrauschen und rotgoldene Sonne als phantastische Romantik-Photo-Kulisse inklusive.
Vergangene Woche nutzten gleich drei Paare innerhalb weniger Tage den von uns erwählten Urlaubsstrand – und davon hat Florida ja nun wirklich viele. (Bei einer kurzen Hochrechnung dieser Hochzeitsfrequenz pro Strand wird jedem noch so Heiratswilligen beizeiten schwindelig, aber das nur am Rande.) Drei Paare also und drei Pläne. Die ersten lagen gut im selbigen und wenngleich die Zeremonie gemessen am medienpropagierten wedding hype vergleichsweise kurz erschien, sah doch alles sowohl planmäßig als auch festlich aus.

Drei Tage später sollte nun völlig unplanmäßig eine Schlechtwetterfront durchziehen – hat man im Augenblick selten, also warum dann eigentlich ausgerechnet jetzt?
Nun, für diesen Tag hatten jedenfalls gleich zwei Paare im Abstand von etwa 500 Metern ihren großen Auftritt am Strand geplant. Blöderweise brauste Wind den ganzen Tag unaufhörlich, wirbelte Sand und Gischt auf und machte jeden noch so schönen Plan zunichte. Dies muss auf Dauer auch das ruhigste hochzeitsgesellschaftliche Gemüt aufwühlen. Man stelle sich die leidige Wartezeit an so einem Tag vor…!
Als schließlich erst kurz vor Sonnenuntergang der Strand gleichermaßen betret- und befeierbar war, erschienen eilfertig ein paar Gestalten, die nun doch noch das Langverschobene in die Tat umsetzen wollten: Links von meinem Aussichtsplatz wurde ein weißer Gittertorbogen aufgestellt und rechts von mir das Gegenstück in Bambus mit wehenden weißen Tüchern installiert. Ganz hübsch wurzelten diese noch reichlich zweckentblößten Gerüste dann fast eine Stunde im Sand, bis schließlich Gesellschaft eins (rechts) als erste zur Tat schritt. Es war eine kleine, schmucke Gesellschaft mit einer windigen aber festlichen Zeremonie, und die Photos mit schrägstehender Sonne, Brandung und Pelikanen müssen wunderschön gelungen sein. Plan erfüllt. Alles gut.
Unmittelbar nachdem dieses Paar somit doch noch den Hafen den Ehe erreicht hatte, blies nun Gesellschaft zwei (links) zur Attacke.

Man kam kurzhosig-lässig und beflip-flopt im Stechschritt an den Strand gerauscht, zückte Kameras und Handys und erwartete windzerzaust das Brautpaar. Lediglich Brautjungfer und Trauzeuge erschienen gedresst, ebenfalls im Stechschritt: er ganz in schwarz, sie in einem – nun ja, sagen wir äußerst figuruntauglich gewählten lila Etwas, das einen deutlich anderen (tieferen) Ausschnitt aufwies als ihr farblich extrem kontrastierender Sonnenbrand und dazu noch die fatale Neigung hatte, am vorderen (sehr langen) Schlitz bis an die Kinnlade hochzuwehen und so den Blick auf unaussprechlich unattraktive grau-gelbliche Leggins freizugeben. Dazu wog die Dame geschätzte 120 Kilo – ein insgesamt wunderschöner und absolut unvergesslicher Anblick!
Kurz darauf erschien ein knackiges, durchtrainiertes Brautpaar ganz in schwarz, angeführt von zwei in rosa und lila Rüschenkleidchen steckenden Blumenmädchen, die verzweifelt versuchten, Rosenblätter gegen die unplanmäßige Windrichtung zu werfen. Aufstellung, superkurze Zeremonie, Applaus, Photos, fertig.

Mitten im Ja-Wort fiel dabei ein weiteres zehnköpfiges Stechschritt-Gäste-Kommando ein und ließ – Höflichkeit muss sein – ihre Bierflaschen nacheinander in den metallenen Strandmülleimer krachen.

Den allgemeinen Gratulationstumult nutzten dann die Blumenmädchen (übrigens sehr zur Freude ihrer Muttis), um die restlichen Blüten mitsamt ihren schönen Kleidchen im tosenden Ozean zu ertränken. Der Bestman (also der Trauzeuge) schmiss sich daraufhin mit lautem Kampfgebrüll und armerudernd gleich dazu in die Fluten.
Das gruppendynamische Gröhlen nahm kein Ende und die schwankenden Gestalten kämpften mit dem Gleichgewicht, was keineswegs an zuviel Windstärke, sondern an deutlich überhöhtem Alkoholgenuss lag. Irgendwie hatte man die Wartezeit halt überbrückt…! Der Bestman riss sich schließlich – sehr zur Freude der anwesenden Damen – das klitschnasse Hemd vom Leib und ließ sich und seine buschige Achselbehaarung im Extremposing mit dem Brautpaar photographieren. Hach, isses nich schön? Das sind doch wahrlich Photos für’s Erinnerungsalbum… zum immer-wieder-Anschauen… so in ein paar Jahren… herrlich

Daraufhin hielt es nun selbst die Dekoration nicht mehr an ihrem Platz und der Torbogen krachte ermattet zu Boden. Mit geschätzten viereinhalb Promille pro Person keine leichte Aufgabe, den wieder aufzurichten, aber ein guter Moment, die lästige Strandgeschichte nun endlich abzubrechen und das nächste Halali auf die Bar zu blasen.

Ich sag nur soviel: All things are possible!
Da hilft auch kein Plan.

kb.