Rough Times #2 : Handicap? Ein Traum!

Mal angenommen: Sie schlendern, Ihr Golfwägelchen frohgemut hinter sich her ziehend, Richtung Heimatclubhaus. Dort begrüßt Sie das strahlende Lächeln eines jungen Mannes um die Zwanzig, das Ihnen irgendwie bekannt vorkommt – so wie die Hälfte aller Gesichter Ihnen inzwischen “irgendwie bekannt” vorkommt, ohne dass Ihr Vorruhestandsgehirn die Puzzleteile noch richtig zusammensetzen könnte. Der Schlüssel könnte sein, dass er englisch spricht, aber da klingelt auch nichts bei Ihnen. Höflich fragt er nach dem Weg zum 1. Abschlag – da wollen Sie ja auch gerade hin und bieten ihm an, ihn dorthin zu begleiten. Sie pulen ein paar Sätze small talk aus ihrem Vokabelkästchen und rasten schließlich gemeinsam an der Tee-Box ein. Gemeinschaftliches Kramen in den Bags – und da trifft Sie der Schlag: das ist Jordan Spieth.
Steht da. Auf dem Bag. J-o-r-d-a-n-S-p-i-e-t-h !!! Hier?? In Brümmelheide??

Spätestens jetzt wird Ihnen klar: Sie hatten gestern mindestens ein Bierchen zuviel und Sie haben geträumt. Aber lassen Sie uns doch mal weiterträumen:

Mal angenommen, dieser traumgeborene Jordan würde Sie spontan auffordern, mit ihm gemeinsam auf die Runde zu gehen. Nehmen wir weiter an, Sie sagten zu, ohne dass Sie der Schlag des Wahnsinns träfe (was außerhalb Ihres Traumes garantiert der Fall wäre, machen wir uns nichts vor!): Sie könnten rein theoretisch sogar gewinnen! Einverstanden: es bräuchte einiges an Wenn und Hätte, aber mit – sagen wir 29er Handicap – hätten Sie eine Chance. Jordan müsste lediglich eine total versemmelte Runde spielen und Sie die Runde Ihres bisherigen Lebens. Und dass in diesem Sport alles möglich ist, wissen wir ja spätestens seit es Golf auf Premiere gibt. Und Jordan weiß das auch.

 

Die Wortwahl “Handicap” ist ja beim Golf irgendwie seitenverkehrt, finde ich: Überall sonst beschreibt es eine Einschränkung, eine Behinderung, und hier ist es ein echter (zumindest mathematischer) Vorteil und kann der direkte Pfad zum Turniersieg sein. Und da sag’ dann nochmal einer, Unsportlichkeit sei ein Handicap. Neenee, im Golf ist das gelebte Integration: Über das Handicap werden auch die weniger Sportlichen unter uns auf sanfte Weise von der Clubgemeinschaft umarmt und in den Kreis der Trophäenanwärter aufgenommen.
Danke, R&A!

Übrigens: Während Sie sich an der Seite von Jordan vorn am 4. Abschlag inzwischen sehnsüchtig Ihre Clubvorgabe 54 zurückwünschen, um überhaupt noch eine Chance zu haben, hab’ ich gerade mein drittes Hole-in-one hintereinander gespielt.

Was denn? Dachten Sie, nur Sie dürften auf dem Golfplatz träumen??!

 

 

(c) Karin Buchholz 2016

[Diese Kolumne erschien im Magazin GOLF IN HAMBURG des Golfverbandes Hamburg e.V. – Ausgabe 6/2016]