Kennen Sie das auch?oder: Was ist ein Moslem?

Es ist einer dieser lauen Sommerabende, die uns geradezu zwingen, sie im Freien zu verbringen. Und wo könnte man dies besser, als beim Italiener um die Ecke? Und an solch einem Abend bekommt die Gastwirtschaft (lässt man einmal wohlwollend die Großbaustelle am Bürohaus nebenan außer acht) ein bisschen, ein ganz kleines norddeutsches bisschen den Charme einer südländischen Trattoria. Mit dem eilfertig herangetragenen Glas Chianti in der Hand lasse ich gemächlich den Blick über die anderen Gäste schweifen und bin ganz im Hier und Jetzt. Herrlich!

Da gibt’s das frischverliebte Pärchen am äußersten Ende dieses Freigeheges für Nahrungsaufnahme und Gespräch, das sich mit glänzenden Kuhaugen anschaut und das ohne Baugerüst und Mörteleimer im Hintergrund sicherlich noch viel romantischer wirken würde;
das gesetzte Ehepaar, jeder den Blick in eine andere Richtung gerichtet (so viel Aufmerksamkeit erhielten die Häuserfassaden in diesem Winkel der Stadt bislang nur selten), und sichtbar bemüht, die über lange Ehejahre geprobte Gesprächsvermeidung auch an diesem Abend aufrechtzuerhalten;
die beiden Businessjuppies im modischen Nadelstreifen, die – mittlerweile beim Hauptgang angelangt – endlich die Existenz der Laptoptaschen zu ihren Füßen vergessen haben und zunehmend gelöster Anekdoten aus dem Berufsleben zum Besten geben.
Schließlich Mann und Frau am Nachbartisch: sie im hautengen Polyester-Mustermix-Kleidchen mit angesagter Asymmetrie-Raspelfrisur, wobei der Zippelpony gesprächsbegleitend ständig wie eine Gardine über mindestens eine Gesichtshälfte fällt, was ihr Gegenüber (einen jungen, gut aussehenden Mann, der tapfer die Oberflächlichkeitsthemen der jungen Dame erträgt) dazu verleitet, sich selbst imaginäre Haare mit wiederkehrender Wischbewegung aus dem Gesicht zu streichen. Er selbst hat streichholzkopfkurzes Haar, was die Geste besonders absurd erscheinen lässt.
Und dann ist da noch die Gruppe Jugendlicher hinter mir, die sich angemessen leise und ernsthaft miteinander unterhalten. Es fallen Worte wie „Moslem“ und „Christ“, von „Völkerverständigung“, „Integration“ und „Migration“ ist die Rede. Schön, dass junge Menschen sich so im Gespräch miteinander austauschen, kennenlernen, Barrieren und Vorurteile abbauen…
Etwas störend über all dem gesetzten Gesprächston quasselt eine der Jugendlichen unaufhörlich in ihr Handy. Sie kennen sicher diese jungen Damen, die vor allem optisch aus jeglichem Gruppenbild herausstechen, den Platz im Mittelpunkt des Geschehens gepachtet haben und meist kaugummikauend ihre Weisheiten zum besten geben, noch dazu mit mittelohrterrorisierenden Quäkstimmen, die es einem unmöglich machen, ihre Wortbeiträge zu ignorieren.
Und das würden Sie gerne… glauben Sie mir!

Schließlich legt sie ihr pinkfarbenes Handy zur Seite und fängt direkt, ohne dem Gesprächsfaden der anderen auch nur ein Fünkchen Beachtung zu schenken, an, den gesamten Inhalt des Telefonats (das ohnehin schon jeder im Restaurant mitbekommen hat) zu wiederholen. Und das Ganze unaufhörlich gespickt mit „weißt Du, und da hab ich gesagt, und dann hat er gesagt, weißt Du, und da hab ich dann gesagt….“ … Sie wissen schon.
Schließlich aber fesselt mich ihr Redefluss dann aber doch, und das kommt so:

Der Junge zu ihrer rechten fragt:
„Sag mal, wo kommst Du eigentlich her?“
„Kasachstan“ kommt die Antwort am Kaugummi vorbei.
„Da gibt’s doch auch Moslems UND Christen, oder?“
„Nee, Kasachstan is n eigenes Land!“

Jaaa, das hätten Sie nicht gedacht, oder?!

Auf diese Weise angelockt, lausche ich noch ein wenig weiter ihren schmatzenden, lokalunterhaltenden Ausführungen, und einmal mehr darf ich Zeuge des wunderbaren und unmittelbar zwingenden Zusammenhangs zwischen Lautstärke und Gesprächsniveau werden (nach dem Motto: je flacher desto lauter)…

„Also ich bin wie mein Vater, ne?, weißt Du, wie mein Vater, also Moslem, ne?, weißt Du, und wenn der sagt, ne?, also: wenn der sagt, das Haus da, das ist blau, dann IST das blau, ne? Verstehst Du? Ne? Weil, dann ist das so. So bin ich erzogen. Also wie mein Vater, ne?“

prima!

„Also, ne?, ich bin so erzogen. Also: Moslem, ne?, und da mach ich was ich machen muss, ne?, also so is das eben, so bin ich erzogen, ne?, aber wenn ich dann keinen Bock mehr habe, ne?, dann mach ich das nich mehr, verstehst Du? So bin ich erzogen, ne?“

aha!

„Weißt Du, ich bin so. Wie mein Vater. Also dominant, ne?“ –
„Wieso? Ich denk, Du bist Moslem?!?!?!?“

jaaa!!

Da bestelle ich mir doch gleich noch nen Chianti und hör mir den Rest vom Film auch noch an… Kneipe ist eben doch schöner als Fernsehen!
Und tröstlich allemal, dass es diese Archetypen überall gibt – in jeder Stadt, in jedem Land, in jeder Religion. Wir sind also alle gar nicht so weit voneinander entfernt.

Sie entschuldigen mich jetzt: ich möchte wirklich nix verpassen, weil, ne?, hier kann man was lernen, ne?, für’s Leben undso…

(c) kb.